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Der Untere Westerwald in der Welt der Sage

Liebe Besucher dieser Seite!

Dort, wo ein wunderschönes und einzigartiges Schlösschen von goldgelber Farbe und mit schwarzen Turmspitzen sich auf dem Hügel über der Stadt erhebt, liegt Montabaur, die Perle des Westerwaldes, oder wie der Heimatdichter Jakob Hannappel es nannte, das Westerwald-Athen. Es ist reich an Sagen und Geschichte, und einiges davon möchte ich hier auf dieser Homepage den Lesern nahebringen. Beginnen wir mit den Sagen der Stadt Montabaur und gehen dann über zu den Ortschaften ringsum. Viel Freude beim Lesen!

Montabaur 

Ortnit

Mancher Leser mag sich vielleicht wundern, die Heldensage von Ortnit unter den Sagen von Montabaur eingereiht zu finden. Doch der darin genannte Name "Montabur" oder "Muntebur", wie Ludwig Uhland ihn in seiner Variante der Ortnit (Otnit)-Sage nannte, spricht eine zu klare Sprache, als dass man ihn einfach ignorieren könnte. Dabei gibt es ein kleines Problem: Montabur, die Heimat der schönen Königstochter Sidrat, wird als am Meer liegend beschrieben. Dies bedeutet entweder a) Die Wurzeln der Sage sind so uralt, dass sie aus einer Zeit stammt, als Taborein alias Montabaur noch am Meer lag, zum Beispiel im Zeitraum nach Doggerlands Untergang, als große Teile Niedersachsens, Nordrhein-Westfalens und sogar von Rheinland-Pfalz unter Wasser standen bis zum Unteren Westerwald, wovon noch viele archäologische Überreste von Meerestieren, wie Fischgräten und Muscheln, Zeugnis ablegen, oder b) "Montabur" wurde von der Fantasie des Bearbeiters ins Heilige Land verlegt aufgrund der Ähnlichkeit des Berges Tabor in Galiläa mit dem Hausberg von Montabaur, wovon die Stadt laut einer Überlieferung von diesem seit 1235 ihren Namen haben soll. Schließlich c) besteht die Möglichkeit, dass sowohl a) als auch b) zutreffend sind. Da die von Hofrat Linz bei K. A. A. Meister ("Geschichte von Stadt und Burg Montabaur", Montabaur 1876) überlieferte Sage vom König Taborein aus dem Jahr 244 v. Zw. sage und schreibe 1479 Jahre älter ist als die mittelalterliche Legende, dürfte wohl eher der Berg Tabor in Galiläa seinen Namen vom alten Taborein im Westerwald haben als umgekehrt, und in der Stadt Suders ist in diesem Fall Sunders im Sauerland zu sehen.
 
Nun aber die Ortnit-Sage:
 
*

König Ortnit

Einst herrschte in Lamparten (Lombardei) ein gar mächtiger König, dessen Reich über ganz Italien, von den Alpen bis Sizilien, sich erstreckte, und dem auch viele andere Könige und Fürsten untertan und zinspflichtig waren; besaß er doch die Stärke von zwölf ritterlichen Männern.

Als er nun zur rechten Jugendblüte gelangt war, rieten ihm seine Getreuen, sich nach einer würdigen Gemahlin umzusehen. Da aber alle Könige diesseits des Meeres ihm zinspflichtig waren, so sagte endlich sein Ohm, der König Ylias von Reußen: „Ich wüsste wohl eine königliche Jungfrau, die würdig wäre, Kröne in Lampartenland zu tragen; leider aber ist es mit ihr so bestellet, dass jeder, der um sie freite, bisher das Leben verloren hat. Ihr Vater ist Machorel von Montabur, der mächtige Beherrscher Syriens und Jerusalems, ein wilder Heide, der jeden Freier der schönen Sidrat zu Suders (Tyrus), seiner Hauptstadt, töten lässt. Schon 72 Köpfe edler Werber stecken bleichend auf den Zinnen von Montabur!“ Dies Wort seines Ohms ließ Ortnit nicht mehr ruhen, und trotz aller Abmahnungen beschloss er, im kommenden Frühling die Brautfahrt zu unternehmen. Wohl suchte seine edle Mutter ihn mit allen Mitteln, mit Bitten und Tränen, von der gefährlichen Fahrt zurückzuhalten. Als aber Ortnit fest auf seinem Willen bestand, da gab sie ihm seufzend eines Tages einen schlichten Goldreif und sprach: „Nimm diesen Ring, ein Zauber ist darin eingeschlossen, den man nicht um ein Königreich erkaufen möchte. Nun reite ins Gebirge bis zum See, dann hinab ins Tal bis zu einer mächtigen Linde, in deren Nähe ein heller Quell entspringt; dort wirst du ein großes Wunder erfahren. Versprich mir aber dieses Goldringlein nun und nimmer jemand anders zu geben.“

Ortnit tat, wie ihm geheißen, und fand auch endlich den gesuchten Ort. Ermüdet von der langen Fahrt band er sein Pferd an einen Ast der mächtigen Linde und wollte sich eben zum stärkenden Schlummer in ihren Schatten legen, da fiel sein Blick auf einen lieblichen, kaum siebenjährigen Knaben, der nicht weit von ihm inmitten duftiger Blumen lächelnd schlummerte. ‚Gewiss hat sich der Arme im Walde verirrt und weiß nicht, wie er sich zurückfinden soll‘, dachte mitleidig Ortnit und machte sich daran, ihn vom Boden aufzuheben. Allein plötzlich bekam er einen so gewaltigen Stoß vor die Brust, dass er beinahe zu Boden gesunken wäre. Zugleich fühlte er sich so fest von dem Knaben umschlungen, dass ihm der Atem verging, und ein gewaltiges Ringen begann zwischen dem zwölfmännerstarken Recken und dem zarten Knaben. Wohl eine Stunde währte es, bis es Ortnit gelang, den Kleinen niederzuringen, und schon wollte er das Schwert zücken, da bat jener in so flehentlichem Tone, ihn zu schonen, dass er nicht widerstehen konnte. Der Wunderknabe versprach nun, ihm eine Rüstung zu schenken, die wie glitzerndes Gold erglänze, dazu das herrliche Schwert Rosen, das seinesgleichen auf der Welt nicht wiederfände. Er selbst aber, fügte er hinzu, sei Alberich, König der Zwerge; sein Reich erstrecke sich weithin unter der Erde, und er besitze mehr Gold und Silber als selbst der reichste Fürst der Welt. Noch lange plauderte der Knabe und bat endlich auch, sich den Ring, den Ortnit trug, etwas genauer betrachten zu dürfen, wobei er ihm denselben zugleich schmeichelnd vom Finger zog. Plötzlich aber war der Kleine verschwunden, und Spottreden flogen Ortnit von allen Seiten Steine entgegen, und seine wütenden Schwerthieben folgten nur höhnende Worte. Schon wollte sich Ortnit zu seinem Rosse begebe, da rief der unsichtbare Knabe: „Bleibe, Ortnit; wenn du dich nicht rächen willst, sollst du den Ring wieder haben!“ und als der Held gern einwilligte, fühlte er den Ring sich an den Finger gestreift, und vor ihm stand lächelnd der Knabe: „Wisse, Ortnit; ich stehe dir näher, als du glaubst. Ich errang mir einst deiner Mutter Liebe, der ich in der Gestalt eines jungen Fürsten nahte, und sie ward mein Weib. Nur kurz aber währte unser Glück, bald musste ich meine Elfengestalt wieder annehmen, und dieser Ring ist das einzige sichtbare Zeichen unseres Bundes. Wohl aber habe ich dir unsichtbar immer treu zur Seite gestanden in allen Kämpfen und will dir auch fernerhin redlich beistehen. Sobald du einmal meiner bedarfst, drehe das Ringlein, rufe: ‚Alberich!‘ und ich werde erscheinen. Jetzt aber harre hier, dass ich dich rüste.“

Verwundert hatte Ortnit alles vernommen, und noch größer wurde sein Staunen, als geschäftige Zwerge ihm Rüstung und Waffen brachten, alles so glänzend, so herrlich, wie er sie nie geschaut. Alberich aber sprach: „Nun muss ich scheiden, lieber Sohn, beschirme Gott dich deine edle, tugendreiche Mutter!“ Damit war der Zwerg verschwunden, Ortnit aber ritt frohgemut von dannen und kam endlich wohlbehalten vor Garden an, wo man den strahlenden Ritter anfangs gar nicht erkannte und er erst nach manchem Abenteuer jubelnd begrüßt wurde. Seiner Mutter aber berichtetet Ortnit getreulich alles, wie es ihm mit dem Ringe ergangen sei.

Im nächsten Frühjahr segelte nun eine stattliche Flotte ab ins Heidenland, und schon am zwölften Tage wurden sie von einem Sturmwind ganz nahe an Suders getrieben und mussten dort notgedrungen die Anker auswerfen, obwohl eine Menge von Piratenbarken im Hafen lagen, die, wie der erfahrene Ylias fürchtete, bald ihre Schiffe bedrohen würden. In dieser Not dreht Ortnit den Ring und rief: „Alberich!“ und siehe, sogleich stand ihm dieser zur Seite und riet ihm, er solle sich für einen reichen Kaufmann ausgeben, der herrliche Schätze des Abendlandes mit sich führe und um die Erlaubnis zum Landen bitte. Seine Bitte werde ihm sicher erfüllt werden. So geschah es auch.

Alberich aber ging als Ortnits Bote zum König Machorel auf Montabur und sprach: „Höre, was dir mein Herr, der König Ortnit, anbietet. Du sollst ihm deine holde Tochter Sidrat zur Ehegenossin geben, und sie soll Königin über Lampartenland sein. Willfahrst du ihm nicht, so will er deine Stadt Suders stürmen und hierher vor Montabur rücken, sich die Braut selbst zu erkämpfen. Machorel jedoch schäumte vor Wut und warf einen zentnerschweren Stein gegen den Zwerg, der aber plötzlich verschwunden war und unsichtbar dem Heiden ein paar kräftige Streiche auf die Wangen gab, sodass er laut aufbrüllte vor Schmerz und Wut. Nachdem Alberich von seiner Botschaft Bericht erstattet hatte, führte er in der Nacht auf den heimlich losgeketteten Barken Ortnits Gefolgschaft ans Land, und ehe noch der Morgen graute, standen 80.000 wohlgerüstete Helden vor der Stadt zum Sturm bereit. Ylias ergriff die gewaltige Sturmfahne mit einem goldenen Löwen als Zeichen, Ortnit zerhieb mit seinem Schwerte Rosen das starke Stadttor, und hinein stürmten die Scharen. Doch die Heiden waren tapfere Männer, und ein blutiger Kampf erhob sich. Schon waren 5.000 der Mannen des Ylias gefallen und dieser selbst durch einen Keulenschlag zu Boden geschmettert, da brach sich Ortnit ungestüm zu ihm Bahn, und bald vermochte sich Ylias wieder zu erheben und wütete nun entsetztlich. Alles, selbst Kinder und Wehrlose, hieb er nieder; dann zerschlug er die Bildsäulen der heidnischen Götter und ruhte nicht eher, als bis die Heiden sich zur Stadt hinaus retteten und das Löwenbanner aufgepflanzt war. Nachdem die Verwundeten auf die Schiffe gebracht waren, pflegten die ermüdeten Helden der Ruhe, um sich für den nächsten Tag zum Hauptturme auf Montabur zu kräftigen.

Am frühen Morgen versammelte Ortnit sein Heer und feuerte es in mutigen Worten an. Alsdann ergriff Alberich die Sturmfahne, schwang sich auf sein Ross und ritt ungesehen dem staunenden Heere voran, das, sich bekreuzigend, rief: „Getrost, ein Engel vom Himmel selbst führt uns zum Kampf!“ Nicht weit von der Burg machte das Heer Halt, und sogleich begann ein gewaltiges Schießen und Werfen aus Schleudermaschinen auf die Christen, so dass Ortnit schon bange wurde. Da plötzlich wurden von unsichtbarer Hand die gefährlichen Maschinen von der Mauer in den Graben hinabgestürzt, infolgedessen sich den Heiden banges Entsetzen bemächtigte, ja einzelne schon zur Übergabe rieten. Machorel aber tobte in wildem Zorn und schwur, nimmermehr seine Tochter dem Christenkönige zu geben. „Was tobst du so?“ ließ sich da plötzlich Alberichs Stimme hören, „mir müsstest du sie geben, wenn ich wollte, ja dir selbst könnte ich das Leben nehmen!“ Damit fasste er Machorel mit aller Kraft in den Bart und zog ihn hin und her, so dass er vor Wut heulte, und obgleich viele Hände nach dem Zwerge griffen, niemand vermochte den Unsichtbaren zu fassen; er stand bereits wieder bei Ortnit und riet ihm, sich auf baldigen, blutigen Kampf gerüstet zu halten.

Kaum graute der Morgen, da stürzten auch schon die Heiden heraus aus den Pforten, und ein gewaltiges Kämpfen begann. Unterdes flehte die schöne Sidrat in dem Heidentempel für ihren Vater; da fühlte sich sich plötzlich bei den Händen ergriffen und rief erstaunt: „Bist du es, Apollo, mächtiger Gott, der mich berührt?“ Allein Alberich – denn er war es – sagte: „Nicht Apollo ist es, sondern ein Bote des allein wahren Gottes, sieh, wie weit mächtiger er ist als deine Götter!“. Damit warf er die steinernen und hölzernen Götterbilder um, dass sie dröhnend zu Boden stürzten, ergriff Sidrat bei der Hand und führte sie hinaus auf die Mauer, von welcher sich der Kampfplatz überschauen ließ. Hier sah die Jungfrau herrlich vor allen den starken Ortnit hervorragen, und als dieser eben auf ihren Vater eindrang, da rief sie erschreckt: „Mächtiger Geist, rette meinen Vater, und ich will dir gehorsam sein!“ Blitzschnell stand Alberich neben Ortnit und rief ihm zu: „Lass ab vom Kampfe, bald stehst du am Ziel!“ Da senkte Ortnit das Schwert, und es gelang Machorel, sich mit den Seinen in die Burg zurückzuziehen.

Während Ortnit seinen Kämpfern die wohlverdiente Ruhe gewährte, schwang sich Alberich wieder auf Montabur und fragte leise Sidrat: „Wann willst du mir zu meinem Herrn folgen?“ „Sobald du willst und ich unbemerkt entkommen kann!“ war die Antwort. „So gehe zum Graben und bete dort zu den herabgestürzten Göttern!“ Sidrat tat, wie ihr geheißen; aber alsbald ergriff sie Alberich und trug sie im Nu zu Ortnit, der sogleich in stürmischer Eile dem Meere zusprengte. Jedoch war die Flucht bemerkt worden; wütend jagte Machorel Ortnit nach und holte ihn auch an einem reißenden Bache ein, nachdem jener vorher kaum Zeit gefunden, die Jungfrau in einer nahen Höhle zu bergen. Allein stand der Held Hunderten gegenüber, und obwohl sein Schwert Rosen fürchterlich unter den Feinden mähte, versagte doch dem König endlich die Kraft, er vermochte seine Waffe nicht mehr zu schwingen und rief in dieser Not: „Ich gebe mich gefangen, Machorel, so du mir das Leben lässest!“ Indes der erzürnte Heide rief: „Nein, dich rettet keine Macht der Erde vom Tode!“ Da dröhnte plötzlich der Boden, und herbei jagte Ylias mit seinen Mannen, von Alberich noch rechtzeitig gerufen. Freudig tauschte Ortnit sein Schwert mit dem des Ohms und eilte zu der Höhle, wo Sidrat den halb verschmachteten Geliebten mit Wasser kühlte und seine Wunden verband. Ihr Anblick stärkte Ortnit auch bald derart, dass er wieder freudigen Mutes zum Kampfe hinaus eilen konnte, nachdem er der Jungfrau versprochen, das Leben ihres Vaters zu schonen. Wieder fielen seine Streiche hageldicht, und bald wandten sich die Heiden zur Flucht, unter ihnen auch Machorel. Jetzt eilte Ortnit zurück zur Höhle, und als Sidrat ihren Vater entkommen sah, schlang sie ihre Arme um Ortnit, küsste ihn inniglich und rief: „Nun bin ich dein auf ewig!“

Eiligst ging die Fahrt gen Suders und von da in die Heimat, wo sie jubelnd empfangen wurden. Sidrat gewann bald durch ihre Anmut aller Herzen, und nachdem sie als Christin getauft worden und den Namen Liebgart erhalten hatte, ward neun Tage lang eine herrliche Vermählung gefeiert, wozu Zwerg Alberich mit goldener Krone auf dem Haupte erschien und eine so reiche Brautgabe spendete, wie sie wohl kaum je eine Königin empfangen. Jahre lang lebten nun die Gatten in seliger Gemeinschaft dahin, bis ihr Glück unerwartet jäh gestört werden sollte. Machorel nämlich sann auf Rache und stellte endlich folgendes an: Eines Tages erschien ein Abgesandter von ihm in Garden mit einem freundlichen Briefe und reichen Geschenken, die von Liebgart freudig empfangen wurden. Zuletzt aber brachte der Gesandte zwei große Eier hervor und sagte: „Diese Eier stammen aus dem Garten Eden und sind von einer echten Abrahamskröte gelegt worden. Wenn sie ausgebrütet sind auf einer steilen Felsenwand, so bringen die jungen Kröten die kostbarsten Edelsteine der Welt hervor.“ Ortnit ließ sich täuschen und die Eier im wilden Gebirge bei der Stadt Trient aussetzen. Nach einem Jahre aber kamen junge Drachen hervor, die bald heranwuchsen und Menschen und Vieh raubten, so dass Lampartenland schwer unter der schrecklichen Plage seufzte. Viele tapfere Helden waren schon im Kampfe gegen die Ungeheuer gefallen, da machte sich Ortnit endlich selbst auf, nahm herzlich Abschied von seiner Gemahlin und bat sie, wenn er falle, so solle sie sich dem Rächer seines Todes vermählen, der ihr die Jungen der Drachen überbringen würde. Dann drehte er seinen Zauberring und fragte Alberich um Rat; allein dieser konnte ihm auch nichts anempfehlen, als sich vor dem Einschlafen zu hüten, und forderte den kostbaren Ring von ihm zurück, damit derselbe im Unglücksfalle nicht nutzlos verloren ginge. Nun ritt Ortnit mutig aus und kam nach vielen Mühen in die Nähe der Drachenhöhle. Um sich zu dem baldigen Kampfe zu stärken, beschloss er, erst unter einem mächtigen Baume sich ein wenig zu lagern. Da aber senkte sich eine tiefe Müdigkeit auf ihn, und bald lag er in festem Schlaf. Wohl suchte sein treuer Hund ihn beim Herannahen der Drachen durch Bellen und Kratzen zu erwecken, es war umsonst. Die Drachen aber erdrückten und erstickten jetzt den Helden und schleppten ihn in eine Höhle, wo ihre Jungen gierig über ihn herfielen, und da sie den Panzer nicht zu zerreißen vermochten, sein Fleisch und Blut durch die Öffnungen desselben aussaugten. Der treue Jagdhund aber lief klagend zurück nach Garden und meldete so der zum Tode betrübten Liebgart das Entsetzliche. Noch vermochte sie der Unheilskunde nicht Glauben zu schenken; als jedoch Jahr auf Jahr verging, ohne dass der Held zurückkehrte, da konnte sie endlich nicht mehr zweifeln, dass ihrem Vater die Rache nur allzugut gelungen war.

Nach langer Zeit erst sollte Ortnit ein Rächer entstehen in Wolfdietrich, aber das ist eine andere Sage.

(Schmidt, Carl und Floss, A.: Germanisches Märchen- und Sagenbuch. Für den Unterricht bearbeitet, Berlin 1891, S. 94-100).

Montabaur

Im unteren Westerwald hebt sich ein breiter Höhenrücken aus der Ebene, der den Namen der Stadt trägt, die an seinem nördlichen Rande erbaut ist, Montabaur. Ein stolzes Schloss, weit ins Land schauend, krönt die ragende Felskuppe. Seltsam ist der Name, fremd, südländisch. Woher mag er kommen? Märchen und Sagen erzählen es uns.

In früheste Vorzeit gehen sie zurück, in das Jahr 244 vor Christi Geburt, das 3705. des Weltalters. Ein König wohnte damals dort. Taborein hieß er, und nach ihm nannte sich auch die Stadt. Da zog aus dem südöstlichen Europa ein fremdes Volk nach Deutschland. Die Cimmerier hießen sie. Über den Rhein kamen sie unter ihrem König Basan. In Taboreins Land fielen sie ein. Das Volk setzte sich wohl zur Wehr, vermochte aber den Angreifern nicht zu widerstehen und wurde vollständig geschlagen. Auf der Felskuppe aber baute sich Basan eine Burg und gab ihr zum Gedächtnis des erfochtenen Sieges den Namen des geschlagenen Königs Taborein. Später entstand hier eine andere Burg, die man Humbach nannte. Diesen Namen behielt sie, bis man ihr den jetzigen gab, 1217.

Über das Trierer Erzstift herrschte um diese Zeit Dietrich II. (Theodorich). In Deutschland tobte damals ein schlimmer Krieg. Zwei Gegenkaiser, Friedrich II. und Otto IV. kämpften um die Anerkennung. Auf Friedrichs Seite stand der Erzbischof. Für Otto stritt mit andern Westerwälder Herren der Graf Heinrich von Nassau. Der geistliche Herr geriet in dessen Gefangenschaft und konnte sich erst nach zwei Jahren daraus befreien. Dann aber beschloss er, sein Land besser zu schützen gegen die fehdeluftigen Westerwälder und auch an die Grenze seines Gebietes eine starke Burg zu setzen. Es war die Zeit der Kreuzzüge, die Zeit, da Geistliche und Weltliche hinauszogen in das ferne Morgenland, zu kämpfen gegen der Sarazenen Krummsäbel, gläubige Pilger zu schirmen gegen der Ungläubigen Bedrückung. Der Erzbischof war selbst in seinen jungen Jahren den Weg gezogen, hatte an heiliger Stätte gekniet, Not und Mühen ausgestanden. Die Täler Palästinas hatte sein Wanderfuß durchschritten, die Berge erklommen. Tief hatten sich die Bilder in seine Seele geprägt, unauslöschlich. Sie begleiteten ihm auch noch, als er in seine Heimat wieder zurückgekehrt war. Und als er einst sein Land durchzog, den rechten Ort für eine Burg zu suchen und in der Gegend von Humbach den Fels mit seiner uralten Ruine hochaufragen sah und schaute aus dem zerbröckelnden Gemäuer weithin in die Westerwaldlandschaft, wo westwärts das Land der Westfalen, ostwärts das der Westerburger, nordwärts das des Sayner Grafen und vieler anderer streitbarer Herren lag, da kam ihm der Berg gar bekannt vor. So hatte er einen im heiligen Lande erblickt. So war der Berg, auf dem einst der Heiland seinen Jüngern verklärt wurde. Mons Tabor musste der Berg heißen und die Burg, die er hier bauen wollte. Bald erstand sie, und der fromme Name wurde ihr ein besserer Schuh, als alle Tapferkeit und aller Rittermut es sein konnten. Die Ritter, die sonst in heißer Fehde gegen ihn gestritten, schlossen Frieden mit ihm. Der erste unter ihnen war Graf Heinrich von Nassau. Mit ihm verpflichteten sich noch manche Westerwälder Herren, den Frieden zu schützen, die von Dernbach und Molsberg, von Hadamar und Wirges, von Bendorf und Pfaffendorf. Nie mehr wurde der Ort zum Schauplatz blutiger Kämpfe.

(Runkel, Otto: Westerwaldsagen, gesammelt und erzählt, Berlin/Leipzig 1929, S. 166-167).

Schloss Montabaur

Die Nonne von Montabaur

Wo die Höhe ostwärts abfällt vom Humbacher Schlosse, hat in alten Zeiten ein Kloster gestanden. Fromme Frauen rief die Klosterglocke dort zum Gebet. Wo das Klosterkirchlein stand, findet sich noch das Bild der Mutter Gottes im ragenden Mauerwerk. Des Klosters Hallen aber sind zerfallen, als eine Tonne die Feinde einließ durch das enge Pförtlein.

Zu wilder Fehdezeit war es. Oftmals hatten die Ritter von Humbach mit ihren Mannen im Streit gelegen mit den Herren rundum. Auf ihre trotzige Burg pochend, hatten sie manchen Handstreich gewagt. Das hatte der Nachbarn Zorn erregt und eines Tages zogen sie in dichten Scharen heran, die Burg zu berennen. Die Schildmauer aber wies den Feinden ihre eiserne Stirn und vergebens lagen sie vor der Stadt, Wochen und Monde, bis eine List ihr Werk gelingen ließ.

In stiller Wacht war es. Offenen Ohres machten die Wächter auf den Wehrgängen die Runde. Nichts Verdächtiges war zu bemerken. Aus dem Fenster einer engen Klosterzelle nur zitterte noch ein Licht. Zu ihm herauf drang ein weher Laut und hieß die wachende Nonne ihre Fensterlein öffnen, zu horchen auf die klagende Stimme. Von brennender Wunde erzählte sie und bat um einen kühlen Trunk. Zaghaft stand die Nonne. Die Stimme wurde werbend, drängend. In süßen Worten koste sie und nahm der Jungfrau Herz und Sinn gefangen. Zaghaft, ängstlich gab sie Antwort.

Und dann knarrte ein Schlüssel in ber Klosterpforte. In ihr stand ein bärtiger Mann und hinter ihm drein drängte ein ganzer Haufe Bewaffneter. Vergebens war der Nonne Angstschrei. Breite Hände schlossen ihr die Lippen, und Mann hinter Mann strömten sie herein in das Kloster, in das Schloss und in die Stadt, Vergebens lugten die Wächter in die Tiefe. Von hinten traf sie der Schlag und machte sie stumm. Zu spät erwachte die Bürgerschaft, Montabaur war bezwungen durch den Verrat einer Nonne. Die aber hat seitdem keine Ruhe finden können und geht noch heute um. Wenn der Herbstnebel im Tale braut und der Wind seine Fetzen wie Schleier um des Berges Scheitel schlingt, dann vernimmt man dort, wo einst das Kloster fand, Töne wie dos leise Klirren eines Schlüsselbundes, wie murmelndes Beten, und von Zeit zu Zeit schallt ein Angstschrei durch die Luft. Das ist die Nonne, die seit Jahrhunderten hier wandert, rastlos, ruhelos, klagend über ihren Verrat. Sie wird hier gehen, bis ihre Strafzeit zu Ende ist.

(Runkel 1929, S. 167).

Die vier Ratsherren von Montabaur

Auf dem Marktplatz zu Montabaur stand einst ein Brunnen. Aus vier Röhren spie er das Wasser, das kristallklar aus der Tiefe quoll, in das große eiserne Becken. Er ist versiegt, als vier ungetreue Ratsherren in seine Tiefe die Zeugnisse ihrer Untreue versenken wollten.

Eine wohlhabende Stadt war Montabaur einst. Die alten Häuser beweisen das noch heute. Aber die Männer, die die Geschäfte derselben führten, waren alles andere, denn redlich. Sie streckten ihre Finger aus bis in die Halle, mit deren Geld ihre Beutel zu füllen. Ihr böses Merk wussten sie geschickt zu vertuschen durch allerlei gefälschtes Schriftwerk. Aber wie das so kommt, wenn Diebe gemeinsame Sache machen, so verrieten sie sich auch hier, als einer von ihnen glaubte, nicht so viel ergattert zu haben als seine Genossen. Die Sache kam dem Stadtbürgermeister zu Ohren und vor ein hohes Gericht.

Doch rasch wollten die drei ihre Untaten verbergen. Zu nachtschlafender Zeit saßen sie in einem Rathausstübchen und kratzten in den alten Pergamenten und kritzelten dazu, was sie für gut hielten. Aber je mehr sie kratzten und kritzelten, umso weniger stimmten ihre Rechnungen. Da trugen sie die Bücher und Akten, die die Beweise ihrer Schuld hätten bringen können, auf den Marktplatz und versenkten sie in der Tiefe des Brunnens.

Das Gericht konnte nicht allen ihre Schuld beweisen und sprach ihrer drei frei. Der vierte aber kam an den Galgen, und eine Röhre am Brunnen gab kein Wasser mehr.

Doch auch die drei andern fanden ihre Strafe. Ihr böses Gewissen ließ ihnen keine Ruhe. Tag und Nacht sahen sie das Bild ihres gehängten Genossen. Des Brunnens Tiefe aber barg ihr Geheimnis, bis sie starben. Da aber versiegten auch die übrigen Röhren und von dem Grunde fischte man die versenkten Akten auf. Irdische Richter konnten sie nun nicht mehr bestrafen. Aber der himmlische gab ihnen im Grabe keine Ruhe. Wenn sich die Nacht auf den Marktplatz senkt, dann geistert es um den Brunnen. Drei Gestalten schreiten daher, beugen sich über den Brunnenrand, fischen in der Tiefe und ziehen in ihren Netzen dicke Bücher herauf, werfen sie wieder hinab eine ganze Stunde lang.

Das sind die drei ungetreuen Ratsherren von Montabaur.

(Runkel 1929, S. 167-168).

Die Schweden in Montabaur

Wo in die steilaufsteigenden Schieferfelsen hineingehängt Montabaurs doppelte Stadtmauer ihren Ring schlägt, in den die kleinen Häuschen des „Rebstocks“ geklebt sind, die Hauswände von schwindelnder Höhe herabschauend, wo in die Felsen eingehauen die Stufen einer Treppe das Hinauferklimmen ermöglichen, lag einst mit Schutzwehren, Hecken, Gräben und Wällen das „Gebück“. In ihm war früher ein unterirdischer Gang sichtbar, der heute vielfach zerfallen ist, ehemals aber im Innern der Stadt mündete, da, wo heute noch ein alter Turm steht.

Man schrieb das Jahr 1633. Kaiserliche Truppen hatten sich in Burg und Stadt eingelagert und ließen sich‘s wohl sein — bis man eines Morgens in aller Frühe an das Stadttor pochte und Einlass begehrte. Schweden waren's. Von Vallendar und Bendorf hatte sie der Weg hierhergeführt. Gold und Wein hofften sie zu finden. Um deretwillen wollten sie schon einen Strauß wagen. Die Kaiserlichen indessen getrauten sich nicht, mit ihnen die Hellebarden zu kreuzen. Durch den unterirdischen Gang entwichen sie und zogen in Eile westerwaldwärts. Mutiger waren die Städter. Die dachten nicht daran, die Tore zu öffnen, und als es den Schweden dennoch gelang, über eine Mauer hereinzukommen, da schwangen sie gewaltig ihre Waffen, dass die Feinde bald wieder hinausgedrängt waren. Manchen von ihnen sah man allerdings mit zerhauenem Schädel in der Gosse liegen. Aber einer blieb lebendig zurück.

Dem war gesagt worden, im Turm sei ein kostbarer Schatz vergraben, viel Gold und edles Gestein. - Dahin drang er vor. Seinen Genossen die Bezwingung der Stadt überlassend, wollte er sich dort die Taschen füllen. Krachend stieß er die Pforte ein und fand tief unten im Verlies viel rotes Gold. Gierig raffte er seine Taschen voll, so voll, dass er sie kaum mehr zu schleppen vermochte. Und dann saß er bei dem goldenen Haufen, ergötzte sich daran in glühender Gier, wähnte seine Genossen längst Herren der Stadt und konnte sich nicht vom ihm trennen. Da fanden ihn die Bürger, als sie der Schweden Herr geworden und sie den letzten derselben rücklings die Mauer hinuntergestoßen, schlafend und träumend. Eine schwere Montabäurer Axt segnete ihm Schlaf und Traum, dass er nicht mehr daraus erwachte.

In des Turmes Tiefe liegt der Tote noch heute. Unverwest ist sein Leichnam, ein warnend Beispiel für alle, denen die Gier nach Gold Sinn und Verstand raubt.

(Runkel 1929, S. 168-169).

Der Junker von Schwalenborn

Auf der Burg zu Montabaur lebte einst ein stattlicher Junker. Eines adligen Burgmannen Sohn, Walter von Schwalenborn geheißen. Der war, als er auf froher Fahrt durchs Lahntal geritten, da, wo sich die Lahn in den Rhein ergießt, auf der Burg eingekehrt, die hoch über Lahnstein ihre Zinnen reckt. Dort hatte er ein liebliches Burgfräulein kennengelernt. Und als er nun nach Montabaur zurückgekehrt, da zog's ihn mit Gewalt wieder lahnwärts. Das Fräulein sah ihn gerne kommen. Nicht so der stolze Lahnecker, der sein Töchterlein nicht einem Burgmanne geben wollte. So kam er heimlich, wenn der Abend sich über die Berge senkte. Hoch zu Ross legte er oft den Weg zurück über die Montabäurer Höhen, durch das Tal der Augst, und fand immer die Furt durch das Wasser der Lahn. Wieder war er auf Lahneck gewesen und wollte heim. Wenn auch der Lahn Fluten angeschwollen waren — denn es war Frühling, und der Schnee geschmolzen auf Westerwald und Taunus — so dünkte ihm hindurchzukommen doch ein Kinderspiel. Aber es war schlimmer, als gedacht. Da er noch auf der Burg saß, hörte er den Wind heulen und die Fluten rollen. Eine ungewöhnliche Herzensangst überfiel ihn nun. Gerne wäre er geblieben. Doch das ging nicht, da ihn sonst der Ritter entdeckt. Und so ging es ans Scheiden. Auf sein Ross schwang er sich. Bergab und in die Fluten der Lahn trug es ihn. Doch nimmer ans andere Ufer. Die reißenden Wasser trugen Ross und Reiter dem Rheine zu, und beide wurden nie wieder gesehen. Doch der Geist des Junkers macht noch allnächtlich den Ritt, steigt auf weißem Schimmel den Burgberg hinab, sprengt durch die Lahn und über die Höhen des Westerwaldes weiter, bis sich die Pforten von Montabaur hinter ihm schließen.

(Runkel 1929, S. 169).

Michel, der Gotteslästerer

An der Straße stand es, die von Eschelbach nach Montabaur führt, das hochragende Kruzifix. Lange Jahre. Stumme Beter, fröhliche Kinder und alte Mütterchen, Jünglinge und Männer knieten auf der Bank am Fuße des Kreuzesstammes. Und immer sah der Gekreuzigte barmherzig auf die Gläubigen herab und nickte selbst dann wie verzeihend, wenn der Michel von Eschelbach, der ein Maurer war und ein Säufer, an ihm vorbeitorkelte ohne Gruß. Er hatte Mitleid mit dem Manne, der dem Schnapsteufel verfallen war, weil er ihn liebte, wie er alle Menschen liebt. Auch, noch, als eines Tages das Ungeheuerliche geschah.

Wieder hatte der Michel im Wirtshaus tagelang geludert, indes an dem Hause, das er im Bau hatte in Montabaur, die Mauern nicht höher werden wollten. Schon am frühen Morgen hatte ihn sein Meister, der Schnapsteufel, gepackt. Wankend war er bis in die Nähe des Kreuzes genommen. Da hatte ein Stein am Wege gelegen. Über den war er gestolpert, dass er klatschend hingefallen und nicht mehr aufkonnte. Fluchend und schimpfend kroch er auf der Straße. Da sah er das Kreuz. Da sah er den Heiland, der auf ihn herabschaute.

Dass vor Scham in den Boden sank, ließ der Teufel in ihm nicht zu. Der vielmehr stachelte sein umnebeltes Hirn auf, dass es böse Gedanken schmiedete, öffnete seinen losen Mund, dass er Fluchworte heraus brachte. Ja, er verführte ihn dazu, die Gestalt am Kreuz zu beschädigen. Nach Eschelbach ging er zurück. Dem ersten besten Hofe entnahm er eine Leiter und stellte sie an das Kreuz. Mit feinem Maurerhammer schlug er dem steinernen Bild einen Singer nach dem andern ab, und gar gegen das Haupt richtete er einen Schlag. Schimpfend torkelte er weiter seiner Baustätte zu, hohnlachend. Er vollendete sein angefangenes Werk nicht. Eine schwere Krankheit befiel ihn. Lange Jahre nagte sie an seinem Körper und fraß ihn. Ins Brüderhaus zu Montabaur lieferte man ihn ein. Ein Finger nach dem andern faulte ihm ab und schließlich die ganze Hand. An den Füßen setzte sich das Zerstörungswerk fort, ganz so, wie er es einst an dem Christusbild getan hatte.

Als warnendes Zeichen hat das beschädigte Kreuz lange am Wege bei Eschelbach gestanden, bis ein neues an seiner Stelle errichtet wurde.

(Runkel 1929, S. 172-173).

 Blick vom Quendelberg aufs Schloss

Das Murkelmännchen von Eschelbach

Die folgende Sage spielt am gleichen Wegeabschnitt. Er galt schon immer als unheimlich und verrufen. Wer hier nachts nicht vorübergehen musste, unterließ es lieber. Dem Eschelbacher Murkelmännchen wurden die zahlreichen Unfälle und sonstige undeutbare Begebenheiten zugeschrieben, die nachts an dieser Wegstrecke geschahen.

Einer der Montabäurer Lohnfuhrleute war ein stattlicher Fünfziger mit einer starken Gestalt, wohl über die sechs Fuß groß. In alle Teile des Westerwaldes brachte er die Waren aus Montabaur; im ganzen Westerwald war er seiner Originalität wegen bekannt und beliebt. Wenn er dann seine Fuhre mit seinen bei den Gäulen zum Bestimmungsort gebracht hatte, befiel ihn auf seiner Heimfahrt nur zu oft seine gefährliche Krankheit: er mochte den „Dauborner“ zu gerne. Als ihn so auf einer Heimfahrt spät abends dieses tückische Übel so überwältigt hatte, dass er schon in Wirges randvoll war, begegnete ihm der Wirgeser Nachtwächter, der ihn mahnte: „Et sein nau bahl zwelf Uhr, nau mach, datt de rasch heimkimmst, sonst hellt dich em Eschelbacher Hehlche noch dot Murkelmännchel“. Der Fuhrmann setzte daraufhin seine Pferde schneller in Bewegung. Ein Sturm heulte um ihn in dieser Nacht. Zum Schutze gegen die aufkommende Feuchtigkeit und Kälte zog er zwei Pferdedecken über Kopf und Schultern. Die beiden Pferde trabten den gewohnten Weg nach Montabaur rascher weiter: Er selbst döste unter den Decken. Die Geisterstunde war gerade erreicht, als das Eschelbacher Kreuz in Sicht kam. Da löschte ein starker Windstoß plötzlich seine Laterne aus. Die Pferde blieben mit einem Ruck stehen. Sie ließen sich nicht mehr vom Platz bewegen. Der Fuhrmann spürte, wie sich ihm etwas Unheimliches, Schweres auf den Rücken legte und ihn zu Boden drückte. In seinem Nacken spürte er feurigen Atem. Der Angstschweiß drang ihm aus allen Poren seines Leibes. Dumpfes Poltern, Klirren und schreckliche Schreie waren um ihn in der Luft, während der Wind um die Tannen am Eschelbacher Kreuz heulte. Der Fuhrmann, die Pferde zitterten wie Espenlaub, sie kamen nicht mehr vom Platz weg. Da ertönte um ein Uhr früh vom hohen Turm des Montabäurer Schlosses das Wächterhorn. Die Geisterstunde war vorbei, der böse Spuk verflogen. Die Pferde zogen wieder an und trabten weiter. Das fürchterliche Lachen in der Luft, das Poltern und das Klirren waren vorbei. Bald erreichte der Fuhrmann in Montabaur Haus und Hof. Seiner Frau, seinen Kindern, denen er von dem schrecklichen, nächtlichen Erlebnis berichtete, standen die Haare zu Berge. Als er sich dann an einem Schälchen warmen Eichelkaffee aufgewärmt und erholt hatte, sprach man im Kreise seiner Angehörigen nur noch von der fürchterlichen „Dauborner Krankheit“ und ihrer Wirkung.

(Fischer, Helmut: Sagen des Westerwaldes, Montabaur 1993, S. 62-63)

Das Christophelgebet

Im Anfänge des 19. Jahrhunderts war das Christophelgebet in Nassau und Rheinhessen allgemein verbreitet. Es wurde allgemein angewendet beim Schatzgraben, wobei der Betende es vorwärts und rückwärts beten musste, ohne an einem Worte anzustoßen. Irrte er sich beim Beten oder sprachen die Anwesenden ein Wort, so war das Graben vergebens, ja der beschworene böse Feind fügte oft den Schatzgräbern großen Schaden zu. Im Amte Montabaur im Nassauischen glaubten die Leute, wenn sie das Christophelgebet in der Nacht beteten, so wurden sie durch den Schornstein nach Marokko gebracht. Es kamen nun einst einige zusammen, unter ihnen auch eine Magd. Der Familienvater würde, so glaubten sie, König in Marokko, die Magd daselbst die reine Jungfrau werden. Die im Hause Versammelten beteten nun und sahen dabei, wie ihnen vorgeschrieben war, die Wände hinauf, sprachen auch kein Wort. Die erste Nacht beteten sie ganz durch, aber es kam niemand, der sie durch den Schornstein geholt hätte. Die zweite Nacht ging es ebenso. In der dritten Nacht gab es unter dem Gebete um Mitternacht ein Gerappel, und die Betenden glaubten, nun würden sie durch den Schornstein geholt. Der Lärm hörte bald auf, aber niemand wagte hinauszugehen und nach der Ursache des Gerappels zu fragen. Am anderen Morgen aber sahen sie, dass ein Stück Holz die Treppe heruntergefallen war, Als die Leute so drei Nächte, und zwar vergebens, gebetet hatten, glaubten sie, es wäre einer unter ihnen gewesen, der nicht an die Kraft des Christophelgebetes geglaubt hätte, darum seien sie nicht gehört und nach Marokko geführt worden.

(Fischer 1993, S. 62-63)

Der „alte Galgen“ von Montabaur

Bei Allmannshausen heißt heute noch ein Feld der „alte Galgen“. Im Jahre 1520 wurden hier, am Hochgericht, vier Verbrecher hingerichtet; auch 1526 wurde dort ein Todesurteil vollstreckt. Zwei Verbrecher, darunter ein Räuber und achtfacher Mörder, wurden enthauptet und dann gerädert. Dies geschah „aus Gnade“ weil sie ihre Taten eingestanden hatten. Ein anderer, es war ein Arzbacher, der ebenfalls ein Bekenntnis abgelegt hatte, „wurde auf dem Armsünderkarren, den Amtmann und Kellner zu Mogendorf bestellt hatten, zur Richtstätte gefahren und auf einem Scheiterhaufen verbrannt (1520). Im selben Jahre wurden gleichzeitig zwei Raubmörder hingerichtet. Einer von ihnen hatte auf Allerheiligen während der heiligen Messe in einem Hause zu Stahlhofen einen Einbruch verübt. „Der im Hause allein anwesenden Magd hatte er so viele Wunden beigebracht, dass sie wie tot liegen blieb. Während er aber mit Rauben beschäftigt war, erholte dieselbe sich wieder und rief um Hülfe; der Räuber entfloh in den Wald, wurde aber am selben Abend noch gefangen und nach Montabaur gebracht. Während der Nacht machte er eine Versuch, aus dem Turm zu brechen, da er aber durch seine Fußfesseln an der Flucht gehindert war, so wurde er am Morgen wieder eingebracht. Der andere, ein Kessler namens Jörg, bekannte, dass „er drey erstochen vnd helfen morden vnd stelenl“ Schauerlich klingt der Bericht der Hinrichtung: „Sint de selbigen zweene vff eynen morgen vff zwey redder gesast vnd armen vnd beyn mit eyner axe zerslagen vnd darna ire Heuffter abgeslagen“.

(Fischer 1993, S. 63-64)

Der Montabäurer Scharfrichter auf der Koblenzer Straße

Nach dem 30jährigen Kriege zerfiel die Grafschaft Say in Sayn-Hachenburg und Sayn-Altenkirchen. Jede der beiden Erbtöchter, Ernestine und Johannette, des Grafen von Sayn-Wittgenstein erhielt eines der beiden Länder. Johannette bekam Altenkirchen und heiratete in erster Ehe den Landgrafen Johann von Hessen-Eppstein, in zweiter den Herzog Joh. Georg von Sachsen-Eisenach. Mit letzterem hatte sie eine Tochter, die die Gemahlin des Markgrafen von Brandenburg-Ansbach wurde. Der vererbte die Grafschaft auf Sohn und Enkel. Letzterer hieß Alexander. Zu seiner Seit wurde Altenkirchen durch einen Gouverneur regiert. Im fernen Ansbach besah er einen Hof, den er dazu benutzte, heimlich Gericht zu halten. Davon sollte einst ein Montabäurer Scharfrichter erfahren.

Der erging sich eines Abends - es war im Jahre 1752 - auf der Straße, die nach Koblenz führt. Da wurde er von einem Trupp Leute überfallen und zu Boden geworfen. Keinen kannte er, denn sie hatten unterschiedslos ihre Gesichter gefärbt. Zwei knieten auf ihm und versuchten ihm die Augen zu verbinden. Er wehrte sich aus allen Leibeskräften. Da beruhigte ihn ein anderer und sagte: „Dir soll nichts Böses geschehen. Nur ein gutes Trinkgeld wollen wir dich verdienen lassen. Doch musst du tun, was wir von dir verlangen, Darum lasse dir ruhig die Augen verbinden.“ Nun ließ er das geschehen, denn sich gegen die Schar zu wehren, wäre zwecklos gewesen, und Hilfe war nicht zu erwarten.

Man band ihm die Augen zu und führte ihn abseits in den Wald. Das merkte er an dem Gesträuch, das um ihn schlug. In eine alte Kutsche, die dort ihrer harrte, hoben sie ihn. Zu beiden Seiten reihten sich die Männer, mit Flinten bewaffnet, was er an den Stößen merkte, die sie ihm verabreichten. Und nun ging’s los. Lang, endlos lang war die Fahrt. Nur von Zeit zu Zeit schien man die Pferde zu wechseln. Das Rumpeln und Rütteln ermüdete den Fahrenden, dass er bald fest einschlief.

Geweckt wurde er durch eine raue Stimme. „Mir sind da“ herrschte sie ihn an. Die Binde löste man ihm. Verwundert blickte er um sich. Die Gegend war ihm fremd. Grüner Rasen rundum und Eichen darauf. Die Sonne stand im Osten. Es war Morgen.

Die Gesellschaft lagerte sich und begann zu speisen. Dann lud man auch den Entführten ein, und er ließ es sich trefflich schmecken. Auch den reichlichen, guten Trunk verschmähte er nicht. Kein Wunder auch, nach den Anstrengungen der Nacht, nach der Angst und Sorge. Man trank ihm zu, und er gab Bescheid, mehr als er eigentlich wollte.

Endlich nahm ihm einer der Männer bei Seite. „Nun sollst du erfahren, was wir mit dir vorhaben, warum wir dich hierherschleppten. Deine Scharfrichterkunst brauchen wir, damit sollst du einen vornehmen Verbrecher vom Leben zum Tode bringen. Öffentliche Gerichte strafen nicht leicht solch adligen Missetäter. So soll er hier seinen Lohn empfangen. Einen Kopf kürzer sollst du ihn machen.“ „Das sei ferne von mir!” entgegnete der Scharfrichter. „Ich habe nur mein Amt, der Gerechtigkeit zu dienen und werde nicht einen Menschen ohne Urteil umbringen.” Mit beredten Worten suchte ihm der Fremde nachzuweisen, dass es ein Übeltäter sei, der Kopf und Kragen verwirkt habe. „Doch ein Schwert fehlt mir!“ suchte der Henker einzuwenden, „hängt ihn an den Galgen, dazu bedürft ihr meiner nicht.“ „Für den Galgen ist er zu vornehm, darum soll er durchs Schwert sterben. Und hier ist ein solches!“ Damit zog er aus dem Stroh des Wagens eine kostbare Waffe. In der Sonne blitzte sie, und leicht war sie wie eine Feder. Mit Vergnügen ruhte des Scharfrichters Auge darauf. Er wog sie in der Hand. Prüfte die Schneide. Sie war haarscharf. „Die soll dein sein und zehn Konventionsthaler mit der Muttergottes auf dem halben Monde dazu!“ bot der Fremde an. Als der Scharfrichter noch immer zögerte, zog jener eine Pistole aus der Tale und hielt sie ihm vor die Stirn. „Nun sage ja oder nein!“ herrschte er ihn an, während er bisher freundlich gesprochen. Vor Schreck blieb dem Scharfrichter das Wort im Halse stecken, aber dann würgte er doch ein „Ja!“ hervor, und die Pistole wurde gesenkt.

Da scholl Peitschenknall durch den Wald. Hufschlag wurde hörbar, und um die Ecke bog ein zweiter Wagen, der alsbald anhielt. Einen Klotz rollte man aus ihm, stellte ihn auf der Wiese auf und verhüllte ihn mit einem schwarzen Tuch. Aus dem Wagen hob man einen jungen Mann von 30 Jahren. Ein seidener Schlafrock umhüllte ihn. Man führte ihm an den Block.

„Nun tut Eure Schuldigkeit“, war des Fremden Befehl, der unterstützt wurde durch Pistolen und Büchsenläufe. Wohl oder übel musste der Scharfrichter folgen. Er nahm dem Manne, der vor Angst halbtot zu sein schien, Schlafrock und Perücke ab. Den Halskragen legte er zurück und prüfte die Schneide.

Mit flehenden Blicken schaute ihn der dem Tode Geweihte an. „Fehlt mich nicht!“ bat er. Zum Andenken reichte er ihm seine goldene Uhr. Er zog die Mütze und sprach ein letztes Gebet. Als er zu Ende war, wurden ihm die Hände auf den Rücken gebunden. Still legte er sein Haupt auf den Block. Der Scharfrichter führte den Rüden des Schwertes über den Hals, die geeignetste Stelle zum Schlage zu finden. Eben wollte er ausholen, da scholl erneut des fremden Mannes Stimme: „Halt! Keiner rühre sich!“ Wie eine Bildsäule stand der Scharfrichter. Der Schrecken war ihm in die Glieder gefahren.

Da entschlüpfte dem Wagen ein schwarzer, schmächtiger Mann. Er winkte, das Schwert einzustecken. Als das geschehen, zog er ein Dokument hervor und las. Darin stand, dass sich der Verurteilte vielfältig gegen den Landesherren vergangen. Den Kopf und die rechte Hand zu verlieren sei er darum verurteilt. In Gnaden habe jedoch der Markgraf das Urteil gemildert. In immerwährende Haft habe er die Strafe umgewandelt, zu verbüßen auf der Freusburg.

Den Kopf hob nun auch der Begnadigte. Aufstehen konnte er nicht. Man trug ihm in den Wagen und fuhr mit ihm davon.

Dem Scharfrichter zahlte man die versprochene Summe und gab ihm das Schwert. Man verband ihm die Augen und fuhr ihn wieder heim. Auf der Straße bei Montabaur setzte man ihn zur Nachtzeit aus, und bald hatte er sein Heim erreicht, in dem die Seinen in Angst und Sorge seiner geharrt.

(Runkel 1929, S. 173-174).


 Blick aufs Schloss von Südwesten, Zeichnung von Walter Kalb

Heiligenroth

Unweit Montabaur liegt das Dorf Heiligenroth. In der Wäller Mundart wird es gesprochen als "Heljerod", und dies offenbart uns, dass sein Name ursprünglich von der germanischen Göttin Hel herrührt. Wie ihr Name andeutet, war diese einst eine Göttin von Licht und Helligkeit, bevor, wie uns die Edda erzählt, das Unglück geschah: Nachdem der arge Loki den Mistelpfeil ihres Gatten Hödur auf den Lichtgott Balder gelenkt hatte und dieser tödlich getroffen wurde, wurden Hel und Hödur aus Asgard verbannt sie so zur Göttin der Unterwelt. Im Namen "Heljerod" steckt auch Odin, doch eher untergeordnet. Hel ist hier die Hauptgottheit! Der Ort Heiligenroth hatte gewiss einmal ein Heiligtum zur Verehrung dieser Göttin, vielleicht dort, wo heute die Kirche steht, denn wir wissen alle, dass die Christen meistens ihre Bethäuser auf alten Kultplätzen der Germanen errichteten.
 
Unweit des Ortskerns, an der Landstraße L318, befindet sich eine bemerkenswerte kleine Brücke, deren Geländer auf jeder Seite eine große Steinkugel ziert. Sie führt über eine tiefe Schlucht, durch die heute die ICEs der Deutschen Bahn auf ihrem Weg von Köln nach Montabaur brausen. Die Brücke wird "Napoleonsbrücke in der Hermolder" genannt, doch niemand weiß heute mehr so richtig, was dieser Name eigentlich bedeutet. Einer Sage zufolge, die nur mündlich überliefert ist, und die mir eine weise Frau aus Großholbach erzählte, verlor hier einst der Teufel eine Wette mit einem Einheimischen und bekam seine Seele nicht. Wütend darüber, schleuderte er eine große feurige Kugel in die Gegend. Dadurch entstand die Schlucht, über die heute die L318 mit der Brücke führt. Weitere Sagen erzählt uns Helmut Fischer in seinen "Sagen des Westerwalds":

Auf der Napoleonsbrücke in der Hermolder

Mühsam und unter viel Beschwerden quält sich die alte Heerstraße von Trier her durch die Eifel, bis sie in Koblenz endlich ein nächstes Ziel erreicht, den Rhein. Kaum hat sie hier einmal kurz verschnauft, muss sie schon wieder und weiter klettern und klimmen und sich über die Höhen hinauf Winden und auch wieder hinab, durch Montabaur und wieder hinauf, dem Lahntal entgegen. Keine Stelle in diesem Verlauf scheint der Straße so viele Schwierigkeiten zu machen, nie muss sie sich auf dieser Strecke ins Lahntal so sehr und so angestrengt plagen, nie muss sie länger und höher steigen als in dieser unheimlichen Schlucht, die man auch die „Hermolder“ nennt. Dort unten im Tal, wo sich die Straße in gefährlichem Bogen über den Ahrbach wirft, wird sie von einer mächtig hohen, mit einer Mauer bewehrten Brücke getragen. Das ist die Brücke, so erzählt man, die der Kaiser Napoleon erbaut hat, als er mit seinem in vielen Schlachten erprobten Riesenheer nach Russland zog. So wollen es die alten Leute wahrhaben, so erzählten sie es von der „Napoleonsbrücke“ und noch mehr, fast unfassbare, geheimnisvolle Dinge wissen sie von der Hermolder zu berichten. So war auch unser erster Weg als Knaben in die Hermolder vom Geheimnis umwittert. Abenteuerlust kribbelte in unserem Kopf, der Drang nach großen Heldentaten trieb uns dem großen Erleben entgegen.

Jahrzehnte später flatterte mir ein Bericht auf den Tisch, und der lautete so: „Am 1. November 1819 wurden aus einem Königl. Preußischen Postwagen zwischen Montabaur und Limburg mittels Zerschneiden des ledernen Deckels auf dem hinteren Wagenkorbe 2252 fl. in zwanzig Rollen à 108 fl. per Rolle und 92 fl. 16 Kr. in Louisdor bestehend, entwendet und hat aller angewandten Mühe ungeachtet den Tätern bis jetzt noch nicht auf die Spur kommen können. Das Königl. Preußische General-Post-Amt zu Berlin hat daher zur Belohnung auf die Entdeckung der Räuber 200 Reichsthaler courant ausgesetzt, welches zur öffentlichen Kenntnis andurch mit dem Anhang gebracht wird, dass Mitteilungen in diesem Bezug mündlich oder schriftlich sowohl dem Herzogl. Amt Montabaur, als auch bei unterzeichneter Stelle gemacht werden können. Limburg, den 6. März 1820. Herzogl. Amt. Fendel“. Auch ein weiterer Raubüberfall in der Hermolder am 18./19. September 1825 auf einen Postwagen ist noch bekannt. Fünf Personen aus Elgendorf wurden später wegen ihrer Beteiligung an diesem zum Tod verurteilt, drei von ihnen dann allerdings zu zwanzig- beziehungsweise zwölfjähriger Zuchthausstrafe begnadigt. Zwei Einwohner aus Montabaur erhielten lebenslänglich, beziehungsweise fünf Jahre Zuchthaus.

(Fischer 1993, S. 61).

Ein Teil der Napoleon-Hermolder-Brücke bei Heiligenroth

Groß- und Kleinholbach

Etwa sechs Kilometer entfernt von Montabaur liegen Großholbach und Kleinholbach, einst als Holbach vereint, später getrennt, da Kleinholbach dem Nachbarort Girod zugeordnet wurde. Bekannt ist der Name Holbach von Ritter Gerhard und seiner Fahrt bis nach Indien, doch was meistens nicht erwähnt wird, ist, dass Holbach natürlich von der Göttin Holda (wie Hel in Süd-Germanien genannt wurde) herrührt, die wir auch als Frau Holle in Grimms Märchen kennen. In ihrer christianisierten Form begegnet sie uns als Maria Magdalena, und von dieser hat sich ein Gemälde in der früheren, wohl ursprünglich ihr geweihten Kirche, der heutigen Dreifaltigkeitskirche, gut erhalten. Es befindet sich im Raum vorne links, der noch zum alten Teil des Altbaus gehörte, woran später die neue Kirche angebaut wurde, was man auch von außen, am Grau des alten Mauerwerks gegenüber dem viel helleren Anbau, gut erkennen kann. Holbach hat einen großen Reichtum an Sagen zu bieten - genausoviel wie das viel größere Montabaur - und es war einst ein Holbacher, der nach dem berühmten Mädchenraub für die Rettung der Frauen und Mädchen sorgte!

 


 "Holbacher Magdalena" in der Dreifaltigkeitskirche

Von Ritter Gerhards Mantelfahrt

Auf den Höhen des Westerwaldes, nicht sehr weit abseits vom Rhein, liegt Montabaur, von einem Ritter erbaut, der im heiligen Lande war und den Ort nach dem Berg Tabor (Monstabor) nannte. In der Nähe liegt das Dorf Holbach, wo im Mittelalter ein Ritter wohnte, namens Gerhard. Von ihm erzählt Cäsarius von Heisterbach ein höchst merkwürdiges Abenteuer.

Der Ritter Gerhard liebte den heiligen Apostel Thomas vor allen Heiligen, so daß er keinem Armen, der ihn im Namen des heiligen Thomas ansprach, jemals ein Almosen verweigerte. Eines Tages pochte der Teufel in Gestalt eines Pilgers an die Pforte des Ritters und bat im Namen des heiligen Thomas um Nachtherberge. Er ward eingelassen, und da es sehr kalt war und der Teufel, der an Hitze gewöhnt ist, erbärmlich zitterte, so gab ihm Gerhard seinen eigenen, guten Pelzmantel als Decke. Am Morgen war der Pilger samt dem Pelzmantel verschwunden. Die Frau des Ritters schmalte gewaltig: „Wie oft bist du schon von solchen Landstreichern betrogen worden“, sagte sie, „und immer lässt du nicht von deinem Aberglauben“.

Ruhig antwortete der Mann: „Der heilige Thomas wird mir den Schaden schon ersetzen!" Des Teufels Absicht war aber gewesen, in des Ritters Herzen die Liebe zum heiligen Apostel zu ersticken. Aber des Teufels Anschläge dienten vielmehr dazu, den Ritter in der Verehrung seines Heiligen zu stärken. Er beschloss nach einiger Zeit, eine Pilgerfahrt zum heiligen Thomas zu machen und dachte, bei diesem Anlass auch seinen Mantel wieder zu gewinnen. Er brach seinen goldenen Ehering in zwei Stücke, gab das eine Stück seiner Frau und sagte: „Diesem Zeichen musst du vertrauen. Warte fünf Jahre auf meine Rückkehr. Sind sie umgelaufen, und ich bin nicht gekommen, dann nimm einen anderen Mann!“ Er ging lange, lange Tage und kam nach viel Kosten und Mühseligkeiten endlich nach Indien, zur Stadt des heiligen Thomas. Die Bürger der Stadt grüßten ihn so ehrerbietig und nahmen ihn so liebreich auf, als kennten sie ihn lange, und als wäre er einer der ihren. Er schrieb dem Apostel diese Gunst zu und betete inbrünstig in seiner Kirche, sich und sein Weib und alles Seine dem Heiligen empfehlend. Da gedachte er nach einiger Zeit, daß die fünf Jahre bald um wären und rief: „O weh, jetzt nimmt meine Frau einen anderen Mann, ich muss heim!“ Gott hatte ihm aber absichtlich so viele Hindernisse in den Weg gelegt. Und wie er eines Morgens in tiefer Betrübnis dasteht, sieht er auf einmal den Teufel auf- und ab spazieren und hatte den Pelzmantel an, den er ihm vor fünf Jahren gestohlen hatte.

„Kennst du mich noch, Gerhard?“ fragte der Teufel. „Dich nicht“, entgegnete der Ritter, „aber meinen Mantel". „Ich bin es“, sagte der Teufel, „der dich in Thomas Namen um Nachtherberge bat und den Mantel dir mitnahm; dafür musste ich schon viel büßen. Und ich habe jetzt den Befehl, dich in dein Haus zurückzubringen, deine Frau will einen andern nehmen, und das Hochzeitsmahl ist schon gerüstet.“ Damit hob der Teufel den Ritter auf und trug ihn von Indien nach Deutschland; vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang dauerte die Reise, und als es dämmerte, setzte der Teufel ihn wohlbehalten zu Holbach ab und verschwand dann. Der Ritter aber, mit dem Pelzmantel angetan, trat als Fremder ins Haus, dort ging es hoch her, und seine Frau saß festlich gekleidet neben einem unbekannten Mann, das war ihr Bräutigam. Gerhard trat leise an sie heran und warf den halben Ehering in den Becher, kaum hatte sie das gesehen, so zog sie aus ihrer Tasche ein gleiches Stück, passte es an die andere Hälfte und erkannte nun auch den heimgekehrten Gatten. „O Gerhard, o Gerhard, mein totgeglaubter Mann!“ rief sie aus und stürzte in seine Arme. Sofort gab sie dem Bräutigam Abschied, aber der höfliche Ritter behielt ihn über Nacht noch bei sich im Hause.

(Fischer 1993, S. 58-59)

Die wilde Jägerin

Es war wohl um die Zeit 1235, als der Erzbischof von Trier seine Burgmannen und Grafen aufrief und sie um Unterstützung für sein armes Volk bat.

Auf einen sonnigen Mai, mit einer übervollen Blütenpracht, war ein regenloser Sommer gefolgt. Die Früchte der Obstbäume waren welk und grün zu Boden gefallen. Die Halme der Ackerfrüchte, die wie ein grünes Meer im Winde gewogt hatten, waren leer; die Quellen versiegten, und die Wiesen vertrockneten. Das Vieh schrie in den Ställen, und die Bauern wussten keinen Rat, denn auch sie hatten nicht das nötige Brot im Haus. So kam der größte Schrecken über das Land - die Hungersnot. Die Leute liefen zu ihren Heiligtümern und beteten. Ströme von Menschen durchzogen predigend die Gegend und drohten den Zorn des Himmels herab. Viele verzweifelten am Leben, jedermann litt und klagte, und die Landesherren standen ohnmächtig dem Schicksal gegenüber. Trotzige schlossen sich zu Räuberbanden zusammen, um zu wildem und den Bauern das letzte Gut zu rauben.

Damals stand in den dichten schwarzen Wäldern, dort wo heute junge Baumsprösslinge dem Leben entgegenreifen, zwischen Holbach, Nomborn und Reckenthal eine kleine Waldschänke. Ganz einsam hauste dort eine junge Frau, die „wilde Jägerin” genannt. Keiner kannte ihre Herkunft, keiner ihr Tun, nur dunkle Gerüchte schwebten in den Dörfern, und ihre Bewohner ängstigten sich sehr. Denn die junge Frau war von Mannesstatur und man erzählte sich, daß sie mit Leichtigkeit eine Doppelzentnersau heben konnte - und manches Wildtier mit ihren eigenen Händen erwürgt hätte.

Aber keiner verstand sich so aufs Tanzen, aufs Zither- und Lautespielen wie sie. Alle Arten von Wilddieben und Räubern suchten Herberge und Unterschlupf bei ihr. Alle Höhlen des schwarzen Waldes waren ihr bekannt; schon manchen Banditen hatte sie vor dem Zugriff der Burgmannen des Grafen Anselm von Holbach gerettet.

Aber des nachts wurde es lebendig in der Schänke. Lustig und wild ging es dort zu, mit Zitherspiel, Tanz und Raufen und unter all den wilden Gesellen die „wilde Jägerin” als einzigstes Weibsbild, der der Teufel im Nacken saß.

Dutzendweise hatte die „wilde Jägerin” ihre Liebhaber, und keiner war ihr gut genug, konnte sie doch alle um den Finger wickeln und ihnen ihre Schätze durch Liebtun oder Drohungen herauspressen. Doch der Liebste von allen war ihr der Räuberhauptmann, der „schwarze Johann” genannt. Ein arger Wilderer und Räuber, der die ganze Gegend unsicher machte. Der Erlös vieler Postkutschen war in die Hände der jungen Frau gefallen.

Schon lange hatte der Graf von Hoilbach ein Auge auf ihn geworfen und versucht , seiner habhaft zu werden, denn der „schwarze Johann” richtete in dieser argen Notzeit noch größeren Schaden an und oft hatte er dem Grafen keck vor der Nase einen fälligen Rehbock zusammengeschossen.

Eine hohe Belohnung hatte der Graf seinen Burgmannes und seinen Bauern ausgesetzt, wenn es gelänge, den Räuber lebend in seine Hände zu spielen. Doch der Räuberhauptmann lachte nur darüber und noch ärger wurde sein Tun und Handeln.

Just, da hat sich das Weibsbild, seine Geliebte, die selbst eine große Wilderin war, auf diesen günstigen Handel eingelassen und von Graf Anselm zum Geschenk eine große Waldparzelle erhalten.

So hat sie denn eines Abends den „schwarzen Johann” in ihre Waldschänke eingeladen und mit schwerem, starken, welschem Wein betrunken gemacht und in den Keller gesperrt, dieweil die Burgmarmen schon dort versteckt im Stroh lagen.

Einen harten Kampf hat es gegeben, denn leicht hat es der „schwarze Johann” seinen Gegnem nicht gemacht, und bös zugerichtet war er, als er irı das tiefe Burgverlies gesperrt wurde.

Doch zur selbigen Stunde tanzte und spielte die „wilde Jägerin” schon wieder in ihrer Schänke, ließ Wein kredenzen und freute sich über ihr neues Besitztum, in dem sie nach Herzenslust jagen konnte, und feierte Hochzeit mit einem anderen.

Freilich, lange sollte diese Freude nicht dauern, denn der „schwarze Johann” war aus seinem finsteren Kerker ausgebrochen. Seine Wut kannte keine Grenzen, und so pirschte er sich an das Wirtshaus heran, um der Jägerin die todbringende Kugel mitten ins Herz zu schicken. Aber noch war sein Zorn nicht verrauscht. Er zündete auch die Schänke, die er selbst hat bauen helfen, an allen vier Ecken an. Fluchend und schreiend stürzten die verkommenen Gesellen mit versengtem Haar und brennenden Kleidungsstücken hinaus und suchten die Weite.

Nur ein Häuflein Asche und die uralten Bäume, die schon manches junge Menschenleben in den wilden Nächten dort verbluten sahen, gaben noch Zeugnis von dieser ruchlosen Tat.

So fand das Leben der „wilden Jägerin”, die keine Herkunft kannte, ein schmähliches Ende; der „schwarze Johann” aber ward von keines Menschen Auge mehr in den hiesigen Wäldern gesehen.

(Fasel, Alfons: Dreifaltigkeitskirche Großholbach 1738-1988. Chronik, Hadamar 1988, S. 149-150).

Die kopflosen Reiter an der Bildcheseiche

Von der Mündung des Holbachs führt ein Fußpfad durch das Holbacher Tal nach dem Kirchdorf Großholbach. Ängstliche Leute gehen nicht gern diesen Weg, weil es an der „Bildcheseiche“, die hier steht und ein Muttergottesbild in einer kleinen Höhle birgt, spuken soll. Gespensterseher erblicken hier zu gewissen Zeiten kopflose Reiter im wilden Kampfe miteinander. Dem Spuk soll folgende Begebenheit zugrunde liegen.

Zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges durchzog der ligistische General Graf Anholt mit seinen Söldnern das Tal. Der Ruf, der diesen Wilden Scharen vorausging, erfüllte die ganze Gegend mit Schrecken, denn überall verübten sie die ärgsten Gräuel- und Freveltaten. So kam es, daß beim Herannahen des Heeres die Stadt Montabaur ihre Tore schloss und sich weder durch Bitten noch durch Drohungen bewegen ließ, diese zu Öffnen. Wollte der General sich nicht auf eine Belagerung einlassen, so blieb ihm nichts Anderes übrig, als weiterzuziehen. So ließ er denn die Stadt Montabaur unangefochten, aber die umwohnende Landbevölkerung bekam seinen Groll zu fühlen. Die Bürger von Montabaur atmeten erleichtert auf, als die Anholtschen Scharen außer Sicht waren, und als man die Stadttore wieder öffnete, zog eine Schar von Jungfrauen nach der Wallfahrtskirche zu Wirzenborn, um Gott für die Rettung aus großer Gefahr zu danken. Sie hatten sich einer neuen Gefahr ausgesetzt.

Als sie nach beendigter Andacht das stille Kirchlein verließen, sprengte plötzlich ein Haufen Anholtscher Reiter aus dem Walde hervor und stürzte sich auf die wehrlosen Mädchen. Einigen von ihnen gelang es, das schützende Dickicht des Waldes zu erreichen und auf Umwegen in die Stadt zu eilen. Die übrigen fielen in die Hände der Räuber und wurden von ihnen fortgeschleppt.

Als sich in Montabaur die Kunde von dem Überfall verbreitete, griffen die Bürger zu den Waffen und eilten den Räubern nach, um ihnen die Beute zu entreißen. lm Holbacher Tal trafen sie die Flüchtenden. In kurzem blutigen Kampfe wurden die Räuber überwältigt; die meisten von ihnen wurden niedergehauen, die übrigen entflohen. Unter den geretteten Jungfrauen befand sich auch die Tochter des Schultheißen von Montabaur.

(Fischer 1993, S. 58-59).

Die Sage der „Bildches Eich”

Vor ungefähr 200 Jahren, in einer dunklen Adventsnacht, kam der alte Förster Christoph aus Großholbach am Angelstein vorbei durch die „Silla”. Was denkt ein Mensch nicht alles, wenn er des Nachts einsam durch den dunklen Wald am unheimlichen Orte vorbeigeht. Der Alte dachte wohl auch an die spukhaften und kopflosen Reiter, die man hier schon öfters gesehen haben wollte. Er betete still und innig ein Vaterunser für die Ruhelosen. Wer weiß, dachte er bei sich, wie das alles ist. Aber ganz sicher gibt es doch für einen sinnenden und hellsichtigen Menschen da draußen im Wald und Feld so manche Dinge, die sich blinde und herzlose Menschen gar nicht einfallen und träumen lassen. So ähnlich dachte und sann der alte Förster Christoph.

Aber da! Was ist das? - Es rauscht durch den Wald. Wie Hufschlag und ängstliches Rossgewieher hört sich‘s an - wie ächzendes, klagendes Menschengestöhn kommt es näher und näher. Zwei große, stechende Pferdeaugen starren ihn plötzlich angsterfüllt an, Wild flattern die Pferdemähnen an ihm vorbei. Ein Menschenskelett sitzt auf dem Pferderücken, die langen Knochenbeine um den Pferdeleib gepresst, die weißen fleischlosen Arme ausgestreckt, als wollten die Totenhände den lebenden Menschen umschlingen und mit sich reißen in das dunkle Reich des Todes.

Vom bleichen Entsetzen gehetzt, eilt der alte Christoph die Klingelwiese hinauf, kam aus dem Wald und lief keuchend über die Wiesen heimwärts. Endlich, endlich leuchtete ihm das rote Licht aus der Kirche zu Holbach unter den drei mächtigen alten Bäumen erlösend entgegen. Seine zitternde Rechte zeichnet das heilige Kreuzzeichen auf Stirne, Mund und Brust, und dann endlich, endlich kam er atemlos und Weiß wie eine Wand, zitternd und stumm zu Hause an. Das unheimliche Geschehen verschloss ihm den Mund. Tagelang musste er im Bett bleiben, und nur ganz langsam erholte er sich wieder. Was er da unten erlebt und gesehen hatte, davon redete er mit niemandem, auch mit seiner Familie nicht. Seine Umgebung konnte nur ahnen, daß er seit jener Nacht Schweres zu tragen hatte. Als dann im kommenden Frühjahr auf dem Dache der alten Dreifaltigkeitskirche die Stare, vor Lebens- und Liebeslust pfeifend und schwatzend, mit den Flügeln schlugen, als in den Gärten die „Druscheln” ihre ersten zarten Blätter hervortrieben, als auf den alten Lindenbäumen Blaumeise und Goldammer lockten und in den Hängen am Holbach die Amseln mit dem murmelnden und plätschernden Bächlein um die Wette sangen - da ging der alte Christoph mit seinem Jagdranzen um die Schulter ganz allein und feierlich ernst die Klingelwiese hinunter. In der Tasche hatte er neben Stemmeisen und Hammer eine kleine liebliche Muttergottesfigur. Die Figur hatte sein Großvater einmal von dem alten Einsiedler Adalbert auf dem Bornkasten erhalten. Seit jener Zeit war die kleine Madonna in der Familie immer in hohen Ehren gehalten worden.

In den riesigen Stamm der alten Eiche, an welcher der dunkle Spuk einst an ihm vorbeigegeistert war, stemmte Christoph eine länglich-viereckige, oben runde Höhlung. In diese rundbogige kleine Nische stellte er dann die Mutter Gottes hinein. Um den Baum rauschten nun die umstehenden Sträucher und Bäume ihr geheimnisvolles Lied zu Ehren Gottes und seiner heiligen Mutter. Unten aber raunten, kluckten unablässig die munteren Wasser des Holbach und wanderten durch Sonne und Schatten immer weiter, so wie auch die Menschen wandern durch Freude und Leid immerzu ihrer ewigen Heimat entgegen.

Wo einstmals finstere Gewalten sich zeigten und Menschen schreckten und ängstigten, da war nun eine leuchtende und erlösende Kraft, Maria in der „Bildches Eich”. Das liebe warme Licht hat die dunklen Gewalten vertrieben.

Seitdem hat auch kein Menschenauge die gespenstigen Gestalten in der Silla nochmals gesehen.

(Kaffei, Hans; Fasel, Alfons; Ferdinand, Herbert; Meurer, Hans Dieter: Festschrift zur 750-Jahrfeier der Gemeinde Großholbach 23.-25. August 1985, Ransbach-Baumbach 1985, S. 270-272)


Kapelle "Bildches Eich" bei Großholbach

Das gestohlene Marienbild von der Bildches-Eich, oder: Der Postillion von Wirzenborn

Er war um die Mitte des vorigen Jahrhunderts. Ein Postwagen fuhr von Limburg kommend durch Großholbach. Der Postillion, ein Bürger aus Wirzenborn, saß schläfrig auf dem Kutscherbock. Er hatte einen langen Tag hinter sich, und die Schnäpse, die er unterwegs getrunken hatte, umnebelten seine Sinne. Er hatte die Zügel gelockert, denn seine Pferde fanden ihren Weg auch ohne ihn. Von Großholbach kürzte er den Weg ab. Als er an der „Bildches-Eich“, einem Muttergottes- Bildnis zwischen Großholbach und Wirzenborn, vorbeikam, hatte er plötzlich einen sonderbaren Einfall. Er hielt seine Pferde an und entwendete die von allen verehrte Madonnenfigur. Zu Hause angekommen, versteckte er das Bildnis in der Nebenlade der Kleiderkiste. Als seine Frau am anderen Morgen die Untat entdeckte, machte sie ihm die bittersten Vorwürfe. Doch lachend antwortete er:

„Was soll schon passieren?“ Doch dieser Frevel sollte nicht ungestraft bleiben. Als er in der nächsten Nacht von Limburg kommend „Bildches-Eich“ erreichte, stand plötzlich ein riesengroßer, schrecklich anzusehender Mann vor ihm und fiel den Pferden in die Zügel. Mit einer donnerähnlichen Stimme befahl er dem Postillion, das Bild noch vor Sonnenaufgang an seinen alten Platz zurückzubringen, widrigenfalls ihm etwas Schlimmes bevorstehe. Darauf löste sich die Gestalt in Nichts auf. Von Entsetzen gejagt, fuhr der Postillion so schnell er konnte nach Hause. Er weckte seine Frau und befahl ihr, die Statue noch vor Tagesanbruch zurückzubringen.

Die Frau weckte vor Angst zitternd ihre Nachbarin. Beide Frauen machten sich mit Laternen ausgerüstet auf den Weg. Der nächtliche Wald war voller Geräusche, und im Schein ihrer Laternen sah alles gespenstig aus. Hinter jedem Baum vermuteten sie die schauerliche Gestalt, von der der Postillion erzählt hatte. Als sie endlich an der alten Eiche ankamen, stand ihnen der Angstschweiß auf der Stirn. Zitternd stellten sie die Figur wieder auf ihren alten Platz. In diesem Augenblick entstand im Wipfel der alten Eiche ein furchtbares Brausen und Heulen, das sich bis in den Wald hinein fortpflanzte und alles in Aufruhr brachte. Die Bäume wurden wie von Riesenhand geschüttelt, und aus dem Unterholz klang ein Stöhnen und ein Röcheln. Wie von Furien gehetzt liefen die Frauen nach Hause.

Erst nach Stunden waren sie in der Lage, den sich inzwischen versammelten Dorfbewohnern ihre Erlebnisse zu schildern. Dem Postillion aber war dies eine Lehre. Er wurde ein ehrlicher Mann und lebte noch lange Jahre zufrieden mit seiner Familie. Auch die Nachbarin wurde sehr alt. Sie erzählte diese Geschichte an langen Winterabenden ihrem Enkel. Dieser wiederum erzählte sie seiner Tochter, der jetzigen Wirtin der Gaststätte „Zum Wirzenborner Liss“. Was an unserer Geschichte wahr ist und was im Laufe von über hundert Jahren dazu gedichtet wurde, können wir heute leider nicht mehr feststellen. Nur eines wissen wir genau: Um 1850 wurde die Madonnenfigur von „Bildches-Eich“ gestohlen.

(Kaffei/Fasel/Ferdinand/Meurer 1985, S. 264-265; Fischer 1993, S. 60-61)

 Marienfigur der Kapelle "Bildches Eich"

Die Dorfschenke

Es war ein stürmischer Herbsttag Anfang des 19. Jahrhunderts. An der Straße Limburg-Montabaur stehen an einer Fuhrmannsschenke Zwei Gespanne. Ein lautes ,,Hü” schallt aus dem tiefgelegenen Hof bis hinauf zur Straße. Das Dorf selbst, in dem diese Schenke liegt, scheint wie ausgestorben. Weder in den Nachbarhöfen noch auf den Straßen sieht man etwas vom geschäftigen Treiben des kleinen Westerwalddorfes. In der Schenke am Wegesrand halten Kaufleute und Fuhrmänner ihre letzte Rast auf dem Wege zum Montabäurer Markt, der alljährlich in den späten Herbsttagen abgehalten wird. Auch weiterziehende Reisende machen hier in Großholbach halt, um für sich und die Pferde eine kleine Verschnaufpause auf dem Wege nach Koblenz einzulegen. Die Fuhrleute feuchten in der Schenke ihre vom Straßenstaub getrockneten Kehlen an und versorgen die Pferde mit frischem Wasser. Die meisten Gespanne, Welche hier anhalten, kommen aus dem Kurhessischen.

Ein Fuhrmann, welcher im Hof der Schenke seinen Pferden den dampfenden Schweiß mit einem groben Sackleinentuch abreibt, hebt plötzlich den Kopf und sieht zur nahen Anhöhe. Man hört jetzt deutlich das Geräusch von Pferdehufen. Zwei Reiter werden über dem nahen Straßenhügel sichtbar, just, als in der Schenke die angezündeten Leuchten ihren spärlichen Lichtstrahl an die Innenseite der Fenster werfen. Die Reitersleut kommen bis auf die Höhe der Gaststätte herangeritten, halten mitten auf der Straße an und reden miteinander. Ihr Entschluss scheint jetzt festzustehen, denn beide reiten auf die Schenke zu. Sie steigen von den Pferden, welche noch verhältnismäßig frisch aussehen, und binden sie unter dem nahen Dache fest.

Mit der heraufziehenden Dämmerung setzt ein nieselnder Regen ein, und die Dunkelheit nimmt dem sinkenden Tag das letzte Licht.

In dem etwas muffigen Schankraum stehen die beiden Reiter am Tresen und wischen sich die verstaubten Gesichter ab. Der Größere der beiden bestellt je einen Branntwein. Beobachtend und misstrauisch wandern beider Blicke durch den Wirtsraum und mustern die anwesenden Gäste.

Daraufhin fragt der Große die Wirtin nach einer Unterkunft. Nickend gibt ihm die Frau zu verstehen, dass dies wohl möglich sei. Die beiden Gefährten flüstern und tuscheln geheimnisvoll miteinander. Nach Beendigung dieser kurzen Konversation klopft der Kleinere der beiden dem Großen auf die Schulter und entfernt sich unauffällig aus der Schenke.

Minuten später hört man, dass sich Ross und Reiter wieder entfernen.

Der Fremde am Tresen hat inzwischen die Getränke bezahlt, begibt sich treppaufwärts und verschwindet in einer nahegelegenen Kammer. So geht der Tag zu Ende, während noch bis in die Nacht Stimmen aus der Schenke zu hören sind.

Dann verlöscht auch das letzte noch flimmernde Kerzenlicht. Stille zieht ein im Wirtshaus und im ganzen Dorf. Durchbrochen Wird diese Ruhe der Nacht nur noch einmal durch das Jaulen eines Hundes. Still ruht das Dorf und mit ihm seine Bewohner.

Mit dem ersten Hahnenschrei zieht ein neuer Morgen herauf. Während die ersten Laute aus Haus und Hof der nahen Gebäude in die Morgendämmerung dringen, regt sich auch in der Schenke wieder das Leben.

Der am Vorabend angekommene Reiter scheint kein Mensch von langem Schlaf, denn oben öffnet sich ein Fenster, und es erscheint sein kräftiger Wuschelkopf. Dann erfolgt ein hörbares Gähnen, das Fenster wird geschlossen, und der Fremde ist wieder in der Dunkelheit des Raumes verschwunden.

Der Tag nimmt an Licht und Helligkeit zu. Gespanne, Fuhr- und Kaufleute sowie Reisende kommen und gehen wie an einem der vielen Tage vorher. So vergeht schließlich auch dieser Tag, und bald wird es wieder Nacht werden.

In der Dämmerung gegen Abend - es ist gerade 18.00 Uhr - wird plötzlich die Tür der Schenke aufgestoßen. In der weitoffenstehenden Tür stehen vier Gendarmen! Erstaunt gehen die Blicke der Wenigen Gaste zur Tür; doch noch ehe einer der Gendarmen den Mund öffnet, klirren Fensterscheiben. Schemenhaft sehen die Gäste noch die Umrisse eines Menschen verschwinden, der vorher noch in einer dürftig beleuchteten Ecke der Schenke saß.

Blitzschnell eilen die Gendarmen aus dem Haus, um den Flüchtenden zu verfolgen. Weder die Gäste noch die Wirtin wissen zu diesem Zeitpunkt, dass sie eine ganze Nacht und einen Tag mit dem berüchtigten Schinderhannes, alias Johann Bückler, unter einem Dach verbracht haben.

Erst bei der Rückkehr der Gendarmen erfahren die Zurückgebliebenen den Namen des Verfolgten. Natürlich konnte sich Schinderhannes im Schutze der Dunkelheit in den nahegelegenen Wald flüchten. Das Pferd des Johann Bückler nahmen die Gendarmen später mit.

Das Haus, in dem dies geschehen, das alte ,,Gomberts-Haus”, steht noch heute. Seit jenem Tag wird diese Geschichte von Generation zu Generation weitererzählt.

Mit ziemlicher Sicherheit steht jedoch fest, dass in diesem alten Hause eine Schenke für Fuhrleute war, direkt an der heutigen B 49, der Limburger Straße, gelegen.

(Kaffei/Fasel/Ferdinand/Meurer 1985, S. 266-268)

Die Sage von der Klingelwiese

Im Jahre 1618 brach der schreckliche Dreißigjährige Krieg aus. Ein Glaubenskrieg, der unsägliches Leid über ganz Deutschland brachte, nicht zum wenigsten über unser engstes Heimatgebiet. Truppenzüge kamen und gingen, „Freund und Feind” lösten im ständigen Wechsel ab. Plündernd und raubend zogen die Scharen durch das blühende Land, in dem sonst eitel Wohlstand herrschte.

Und wieder überströmte die wilde Jagd eines Schwedenheeres vom Rhein kommend auf Montabaur zu.

Die ausgesandten Späher berichteten den Dorfältesten von Großholbach von Plünderung und Brand, Mord und Totschlag, und den schrecklichen Grausamkeiten eines „Schwedentrunkes”. Schnell waren die wenigen Habseligkeiten zusammengepackt, und die Bauern flüchteten mit Familie, mit Hab und Gut in die Sicherheit der dunklen, schwarzen Wälder, die unser Dorf umgaben.

Auch alle kostbaren Kirchengeräte waren schon im Versteck, nur die Glocken fehlten noch, als ein Vorposten von der Höhe das Herannahen eines Fähnleins mit nachfolgendem Tross meldete. Nun tat Eile Not. Schnell sammelten sich einige beherzte Männer und eilten im Schutze der Dunkelheit zum Kirchturm. Bald waren die Glocken auf dem Pferdewagen verpackt, und heidi gings dem Wald und den Wiesen zu. Da - was war das? Hörnerklang und das Getrappel von Pferdehufen! Grauen und Entsetzen packte die sonst so beherzten Männer. Sie flohen nicht - und wollten nicht eher weichen, als bis sie ihr kostbares Gut im Wiesengrunde verborgen hatten -.

Unverdrossen, doch mit traurigem Herzen, eingedenk ihrer Ohnmacht den plündernden Heeren gegenüber, schlichen sie sich an den Vorposten mit einem Losungswort vorbei, zu ihren Familien und ihrer Dorfgemeinschaft zurück.

Jahr um Jahr verging. Aber noch immer zogen die Heere raubend und brandschatzend durch die Gegend,-bald Freund, bald Feind, und mit ihnen zog die Hungersnot, zogen Pest, Mord und Tod, so daß viele starben.

Als endlich der Friede ins Land kehrte, erinnerte man sich der vergrabenen Glocken. Aber niemand wusste mehr die genaue Stelle, wo man sie vergraben hatte. Alles Suchen bis auf den heutigen Tag war vergebens. Doch fortan nannte man diesen Wiesengrund die „Klingelwiese”.

Und der Volksmund erzählt, daß ein leises, seltsames Klingen anhebt, wenn dem Dörflein ein Unglück droht.

Die vergrabenen Glocken im Schoße der Erde erheben ihre warnende Stimme.

(Dem Volksmund nacherzählt von V. G.)

(Fasel 1988, S. 152)

Die Seelenau

Vor uns liegt ein langer schmaler Weg, als wir von Großholbach nach Wirzenborn aufbrechen, um diesen schönen Herbsttag noch einmal zu genießen, um uns das Bild einzuprägen, das die Allmacht Natur bietet, bevor sie sich zum Sterben rüstet.

Bald nimmt der Wald uns auf, indem wir uns an diesem stürmisch kalten Allerseelentag so geborgen fühlen, weil der Wind hier keine Gewalt hat. Und doch sind wir dem Sturme so dankbar, weil es ihm gelingt, die dicke Wolkenbank zu durchbrechen, damit die Sonne aufleuchten kann, und uns auf die Farbenpracht der verwelkten Blätter aufmerksam macht.

Passt in dieses tausendfarbige Mosaik nicht jener Habicht, der sich dort von seinem Neste in jener Baumkrone erhebt, durch unser Gespräch aufgescheucht, und hoch in die Lüfte schwebt, um einen Bissen zu erspähen und zu erhaschen?

Weiter führt uns der Weg durch eine Kiefernkultur. Die braunen und später grünen Kerzen der jungen Triebe sind nunmehr verholzt und erstarrt. Sie sind gerüstet, den Winter zu überstehen und Schneelast zu tragen.

So wie die Natur sich zum Sterben neigt, und vorbereitet ihrer Bestimmung entgegensieht, so wandern auch unsere Gedanken am heutigen Allerseelentag zurück in die Vergangenheit. - Noch vertieft im Gespräch um Sein und Werden eröffnet sich uns rechts ein kleines Wiesental, unterhalb der „Bildches Eich”, - die „Seelenau” – oder wie man sie im Dialekt einfach nennt: Die „Silaa”. -

Versunken im Anblick an jene alte Roteiche, die durch ihre leuchtenden Farben den Blick auf sich lenkt, versinkt die Zeit um Jahrhunderte zurück, und das Mittelalter erwacht, mit den Freuden und Schrecken jenes Jahrhunderts.

Damals gehörten die Gemeinden Holbach, Nomborn und die umliegenden Ortschaften noch zum Banne Montabaur. Dorffriedhöfe kannte man noch nicht, und so musste jeder Tote auf dem Bamıfriedhof Montabaur bestattet werden, dort wo heute die Pfarrkirche steht. Bei Ausschachtungsarbeiten, zum Bau der neuen Kirche in späteren Jahren, fand man dort noch Grabinschriften aus umliegenden Dörfern, - die uns Kunde geben von jener Zeit.

So führt ein direkter Weg, der „Nombornersteg” genannt, von Nomborn über die „Dick Heck”, die sich rechts von uns erhebt, und bei der „Bildches Eich” in die Holbacher Gemarkung mündet.

Wie manches Mal wird dieses stille Wiesental, umgeben von seinen alten Eichen und Buchen, begrenzt von einem kleinen, wilden Bächlein, Zeuge eines Trauergeleits gewesen sein. Herrschte doch damals die Sitte, daß alle Dorfarbeit ruhte, und der Tag zu einem Feiertag erklärt wurde, wenn es galt, einer Leiche das letzte Geleit zu geben, über Berg und Tal, bis sie an die Grenze ihrer Gemarkung kamen. Nun wurde die Leiche auf der Grenze mit dem Gesicht zur Heimat niedergestellt und alle Begleiter wandten sich mit ihr dem Heimatdorfe zu. - Auf dem Grenzrain betete man ein letztes „Vater unser” und bat Gott noch einmal im Angesicht der Heimat um den Frieden und die ewige Ruhe für den Verstorbenen. - So wurde hier für die Seele des Toten gebetet, und so heißt man noch heute im Volksmund dieses kleine Wiesental die „Silaa”.

Die Unruhe und Traurigkeit, die uns beim Anblick des sterbenden Waldes und des heutigen Allerseelentages übermannt hat, weicht nun einer inneren Ruhe, einem bestimmten Vertrauen des Wiedererwachens und Wiedererstehens, im Leben und in der Natur. (V.G.)

(Fasel 1988, S. 148-149)

Holbach im 30jährigen Krieg

„Die Schweden kommen!” Wie ein Schreckensruf flog die Kunde über Städte und Dörfer. Die Bauern auf dem Lande versuchten, ihr armseliges Leben zu verteidigen. Aus den Ruinen der Höfe wuchsen Brombeersträucher.

Man schrieb das Jahr 1634. Die wenigen Häuser, die unterhalb der Straße, die das Dorf Holbach durchquerte, liegen, fallen dem Betrachter besonders durch das reichverzierte Fachwerk auf. Alle Häuser diesseits und jenseits der Straße haben eines gemeinsam, die niedrige Bauweise und die Strohdächer. Hier und da steigt der Rauch aus den Verwitterten Schornsteinen. Es ist ein etwas trüber Frühlingsmorgen im April. Die tiefhängenden Wolken ziehen schnell dahin und sind bald schon am nahen Horizont verschwunden. Ab und zu reißt für kurze Zeit die Wolkendecke auf, und die Sonne bescheint für einen Augenblick die Ostseite der noch feuchten Strohdächer. Der Rauch aus den Schornsteinen steigt, dem Winde entsprechend, diagonal aufwärts und vermischt sich schließlich mit dem Dunkelgrau der Wolken.

Friedlich liegt das kleine Dorf am Hange des ansteigenden Geländes. Holbach, so nennt sich der kleine Ort nach dem Bache, welcher dem Weg folgend hinab ins Tal fließt. Noch scheinen das Dorf und dessen Bewohner an diesem Frühlingstag zu träumen. Schon seit einiger Zeit hört man das Singen der Vögel aus Feld und Wald, und doch scheint es, als wolle das Dorf nicht erwachen. Ein leicht aufkommender Wind bringt Brandgeruch mit sich. Die vom Alter gebeugte Frau, welche aus der Tür eines Hauses tritt, blickt ängstlich nach beiden Seiten, hebt ihr greises Haupt und bekreuzigt sich. Schnell dreht sie sich wieder um und geht zurück in das Haus.

Was geht hier vor? Was scheint hier in Holbach so merkwürdig? Die Schweden kommen! Diese Hiobsbotschaft brachte gestern Abend ein Bauer mit, welcher von Montabaur kam. Auch von anderer Seite sind schon Schweden in der näheren Umgebung gesichtet worden. Sie fallen in die Dörfer ein und töten und brandschatzen. Überall in Deutschland hinterlassen diese Horden Spuren der Verwüstung, bringen Not und Leid über manche Familie. Wer sich nicht rechtzeitig in Sicherheit bringen kann, muss mit dem Schlimmsten, ja sogar mit dem Tode rechnen. Man wusste auch hier in Holbach, daß es nur noch eine Frage der Zeit war, wann die Schweden auftauchten. Schon hatten sich einige Familien aus ihren Häusern entfernt und Zuflucht in anderen Orten gesucht.

Dieser Tag im April sollte zum Schicksalstag für Holbach werden. In dem Hof eines größeren Gebäudes haben sich, heftig gestikulierend, Frauen und Männer versammelt. Unweit dieser Gruppe spielen zwei Kinder barfuß an einem Rinnsal. Kleine Holzspäne tänzeln auf dem Wasser und schwimmen talwärts, dem Lauf des Baches folgend. Sie denken noch nicht daran, die Sorgen der Erwachsenen mit in ihr Spiel einzubeziehen. Sie schauen auch nicht auf, als eine Reiterschar plötzlich den Weg ins Dorf unterhalb der Straße einschlägt und sich im Galopp der Menschen- gruppe nähert. Als dieselbe das Geräusch der sich nähernden Pferde bemerkt, versuchen sie, schnell in die Häuser zu flüchten. Doch nur wenige konnten sich noch für den Moment hinter den schützenden Häusermauern verbergen. Ein Mann sank auf der Flucht, von einer Lanze durchbohrt, kurz vor dem schützenden Haus zusammen. Nun dringen die Schergen in die Häuser ein und legen Feuer. Eine knappe Stunde nach dem Eintreffen der Schweden brennt Holbach unterhalb der Straße. Wer noch die Möglichkeit hatte zu fliehen, suchte schweratmend Schutz in den wegziehenden Rauchschwaden.

Während sich die lachende und grölende Soldateska mit ihren Pferden wieder auf der Straße versammelt, brennt der untere Teil des Dorfes.

Einige der Reiter hatten mittlerweile die wenigen Häuser diesseits der Straße aufgesucht, und schon züngelten auch hier die Flammen aus den Strohdächern. Ganz am Schlusse wurde auch noch die Kirche in Brand gesetzt. Endlich gibt einer aus der Horde den Befehl, aufzusitzen und Weiterzuziehen. Nach gut zwei Stunden verlassen die Schweden Holbach. Nur Feuer und Rauchschwaden sind noch zu sehen.

Zwei Tage nach Abzug der Schweden sah man nur noch niedergebrannte Häuser, Stallungen und Scheunen. Noch steigt aus den Resttrümmern der Rauch. Suchend irren die Bewohner in den Ruinen umher. Nur wenige Häuser blieben von den Schweden verschont. Drei Gebäude sollen noch bis ins neunzehnte Jahrhundert die Zeit überstanden haben.

Holbach hatte zu jener Zeit einen eigenen Pastor und eine eigene Kirche. Von da an wurde Holbach von Nentershausen aus mitpastoriert. Erst in den Jahren 1663-1664 wurde wieder eine neue Kirche erbaut. Auch neue Glocken wurden wieder angeschafft.

Unterhalb der Straße wurde Holbach nicht mehr aufgebaut. Das Dorf vergrößerte sich nach dem 30jährigen Kriege nur sehr langsam. Es dehnte sich räumlich nur noch oberhalb der Straße aus.

Später änderte sich der Ortsname Holbach in „großen Holbach” und schließlich in das heutige Großholbach.

(Kaffei/Fasel/Ferdinand/Meurer 1985, S. 274-276)

Der Orgelsweg

1858 bekam unsere Kirche die Orgel. Aus dieser Zeit stammt auch das Stockbuch = Konsolidation. Die Konsolidation bestand ja in der Hauptsache bei uns in der Beseitigung der Gemengelage des landwirtschaftlichen Grundbesitzes und in der Schaffung von Zugangswegen vieler unzugänglicher Landstücke.

Also musste ein Weg vom Oberdorf durch das Feld zum Niederdorf gebaut werden. Da das Geld zur Beschaffung der Kirchenorgel fehlte, gaben die Arbeiter, die den Weg zu bauen hatten, ihren ganzen Verdienst (so erzählen die Alten) für die Orgel. Daher die tatsächlich amtl. Bezeichnung des Weges „Orgelsweg”.

(Kaffei/Fasel/Ferdinand/Meurer 1985, S. 277)

Das steinerne Kreuz

Wer aus diesem kleinen Wiesental, der „Silaa”, den Blick aufwärts wendet, sieht heute auf dem Knippchen - hoch über sich - ein dunkles Holzkreuz in den Himmel ragen.

Soldaten des letzten großen Krieges haben es dort oben, zwischen Himmel und Erde, als Zeichen des Dankes für glückliche Heimkehr errichtet.

Wer nun aus der Seelenau den steilen Hang zu dem wuchtigen Kreuz auf dem Gipfel des Knippchens emporsteigt, kommt, - nachdem er von hie aus den herrlichen Blick über das liebliche Gelbachtal und das idyllisch gelegene Gnadenörtchen Wirzenborn genossen hat -, auf dem Heimweg von Großholbach an einem kleinen verwitterten Steinkreuz vorbei.

Es steht etwas seitlich am Nomborner Steg auf einer kleinen Bodenerhebung.

Auch dieses Kreuz ist, wie all die vielen Wege- und Feldkreuze unserer Heimat, stummer und doch so beredter Zeuge eines christlich-frommen Glaubenslebens.

„Halte an deinen Schritt”, scheint es dem Vorübereilenden zuzurufen und zwingt ihn Mahnmal längst versunkener und vergessener Zeiten, zum stillen Verweilen und zur beschaulichen Besinnung.

Eine Sage, dunkel und verschwommen, deren Ursprung niemand mehr genau kennt, die keine nüchterne Geschichtsschreibung aufführt - und die doch tief im Herzen des Volkes lebt, rankt sich auch um dieses Kreuz...

„Hat aufgerichtet Anna Meudin von Girot

zur Ehr Jesus - Maria - Josef

fier die armen Seelen ... 1766”

ist auf dem von Wind und Regen verwitterten Stein noch schwach zu lesen.

Als man sich in jener Zeit erzählte, daß die armen ruhelosen Seelen sich in den Novembernächten um Allerseelen dort unten im Waldesdunkel einfänden, stöhnend und jammernd über frühere und ungesühnte Vergehen, da hier eine einfache Frau aus dem Volk im frommen Sinne der Vorfahren das Mal errichtet.

Nun steht es schon über 2 Jahrhunderte im Schatten alter breitästiger Bäume, bittet den Vorübergehenden um ein kurzes Momento für die armen Seelen und mahnt ihn, sein Herz von der Erde zum Himmel zu erheben und sein Erdenkreuz und -leid in Geduld und Ergebung zu tragen.

(Fasel 1988, S. 151)

Leuterod, Moschheim, Ötzingen

Das Wildweiberhaus auf dem Malberg

Auf dem Phonolithkegel des Malberges, der sich am Südwestabhange des Westerwaldes, nördlich von Moschheim, aus der hügeligen Landschaft trotzig gen Himmel hebt, liegen die Riesensteinbrocken des Kling- oder Glassteines wild durcheinander, bald wie aus einem Riefensack verloren, bald wie abwehrbereit aufgetürmt zur gigantischen Bergfeste. Kein Wunder, dass Frau Sage um sie geheimnisvolle Schleier gewoben hat, dass sie einzelne dieser Felsbrocken ganz besonders ins Auge gefasst.

Wenn man die Hochfläche, die etwa 400 Meter in Geviert misst, überschreitet, so fällt am östlichen Hange eins dieser Gebilde besonders auf. Zwei riesige Felskolosse recken sich so dicht nebeneinander aus dem Boden hervor, dass zwischen ihnen eine tiefe Felsspalte verbleibt. Da hinein führt der Gang ins Innere des Berges, zu eng, als dass Menschen sich hindurch zu winden vermöchten, weit genug, dass geheimnisvolle Geister, lustige Schelmen, hineinschlüpfen. Das ist das Wildweiberhäuschen.

Hier wohnten einst die Wildweibchen. Die stellten sich gerne zur Nachtzeit in den umliegenden Ortschaften ein, taten den Leuten Gutes oder fügten ihnen Böses zu. Gut waren sie besonders gegen die von Leuterod, die jenseits des Berges wohnten. Insbesondere nahmen sie sich, selbst ohne Männer, der Witwer im Dorfe an, die der sorgenden, flickenden und reinigenden Hand der Hausfrau entbehrten. Nachts, wenn alles im Dorfe schlief, die Männer schnarchten, indes, da das rechte Verständnis für häusliche Arbeiten fehlte, ihre Buxen zerplatzt auf dem Stuhl vorm Bett, die Strümpfe zerrissen auf dem Boden, die Schuhe mit der weißen tonigen Ackererde beschmutzt unterm ungescheuerten Herd, die geschlagene Butter in der Buttermilch, lagen, und man allenthalben sehen konnte, dass eine Frau im Haufe fehlte, kamen sie vom Malberg herunter und schlichen auf leisen Sohlen durch Küche und Kammer, durch Speicher und Keller. Alle Hausfrauenarbeiten verrichteten sie. Den Herd scheuerten sie, die Milch, die in den Eimern stehen geblieben war, schütteten sie sorgsam in Töpfe und stellten sie beiseite. Die Butter, die halbfertig in der „Kier“ stand, schlugen sie vollends, wuschen, salzten und kneteten sie, die Schuhe reinigten sie, die Hosen flickten und die Strümpfe stopften sie. Im Herbst, wenn der Sturm reichlich Fallobst heruntergeschüttelt hatte, schälten sie Apfel und Birnen, reihten die Schnitzel an Süden neben dem Ofenrohre auf. Die Töpfe und Eimer scheuerten sie. Es fehlte nur noch, dass sie die Kühe gemolken hätten. Doch das mussten die Männer selber tun, denn zur Melkezeit waren die Wildweibchen schon wieder in ihrer Felsspalte verschwunden.

Für all diese Hilfe zeigten sich die Leuteroder Witwer aber auch dankbar, ließen von all den Sachen, die die bäuerliche Wirtschaft abwarf, ihren Helferinnen auch ihr Teil zukommen: Ein Klümpchen Butter, ein paar Eier, ein Schälchen Milch. Die Geister nahmen gern, und wenn‘s bei den Menschen Tag war, so schwelgten sie in ihrer Felsenspalte und kamen des Abends immer wieder von neuem, ihre Arbeit zu tun.

Anders waren sie gegen die Moschheimer, die südwärts des Bergkegels wohnten. Auch; denen erwiesen sie anfangs ihre Dienste wie denen von Leuterod. Doch die waren geschäftstüchtiger und weniger dankbar. Sie nahmen die Wohltaten gerne an, vergalten die Dienste anfangs wie ihre Nachbarn, wurden aber bald geizig, machten die Tribute immer winziger und schenkten ihnen schließlich gar nichts mehr. Das merkten die Wildweibchen bald und kamen nicht wieder. Die Moschheimer fanden am Morgen ihre Stiefel im Dreck, die Eimer beschmutzt, die Milch im Eimer und mussten sich schließlich jetzt zu der Arbeit bequemen. Aber auch die Leuteroder sollten die Hilfe der Wildweiber verlieren. Und das durch eigene Schuld. Da war wieder einem Manne die Frau gestorben. Der war ein Schuster und hatte sich zeitlebens nur mit der Schusterei, nie aber mit der Hauswirtschaft beschäftigt. Dem erwiesen die Geister des Malberges viele Wohltaten. Da erwachte in ihm der Wunsch, sie einmal zu sehen. Gehört hatte er sie oft genug, wenn er, das Deckbett bis über die Ohren gezogen, in der Kammer lag. Vom Malberg holte er seine Schusterschürze voll Steinbrocken und streute sie kunterbunt im „Ern“ aus. Sich selbst aber stellte er am Abend hinter die Tür. Und als die Weiber in vollster Arbeit waren, da machte er Licht. Da gab‘s ein ängstliches Geschrei unter den Geistern. Zu Tode erschrocken, flohen sie zur Tür Ninaus. Einige stolperten über die Steine und fielen jammernd hin. Der Schuster hatte sie gesehen. Aber zum letzten Male. Sie kommen seitdem nicht mehr aus ihrer Höhle Heraus.

Eigenartig soll es einem Hirten von Ötzingen mit den Wildweibern des Malberges ergangen sein.

Ein grauer Herbsttag war's. Der Nebel lag über dem Tale des Aubach bis an die Hänge der Berge hinauf. Am Fuße des Malberges weidete der Ötzinger Hirte seine Kühe. Sie waren den ganzen Tag bimmelnd zwischen den Steinbrocken herumgestolpert und hatten das fette Waldgras gefressen. Nun kam der Abend. Zeit war‘s zum Heimtreiben. Als er dahin kam, wo der Berg sich mählich senkte, und die ragenden Buchen lichter standen, überzählte er seine Schützlinge, Stück für Stück. Da merkte er, dass eins der Tiere fehlte und eins der besten. Da wurde ihm angst. Er wusste, brachte er die Kuh nicht wieder, so war er seines Amtes quitt. Hin und her lief er, die Herde dem Bockhirten überlassend, auf und ab bis auf die Höhe. Er tutete ins Korn. Er bimmelte mit einer Kuhglocke. Nichts zu sehen, nichts zu hören von dem Tier. Schon dunkelte es zwischen den Felsblöcken. Da kam er auf die gegenüberliegende Seite des Berges zum Wildweiberhaus. Klagend ging er an dem Felsspalt vorüber. Da lugte eine der Bewohnerinnen aus der Öffnung hervor. Was die Ursache feines Jammers wäre, forschte sie. Ängstlich gestand er, was geschehen. Doch sie tröstete ihn. Etwas Besseres, Wertvolleres wollte sie ihm geben. Dafür könne er sich zehn Kühe Kaufen. Aus der Spalte zerrte sie einen großen Sack, gefüllt bis oben hin. Den solle er heimtragen, aber ihn nicht öffnen, bis er im Hause wäre.

Halb sich freuend, halb zweifelnd lud er ihm auf, dankte und ging fürbass. Um den Berg herum kam er, kletterte den kleinen Hügel hinan und war bald daheim. Als er an die Stelle kam, wo die Ötzinger ihre Brechkauf seit lange haben und er schon die ersten Käufer liegen sah, plagte ihn die Neugier. Der Sack kam ihm so leicht vor, als sei er leer. Sollten ihn die Weiber zum Besten gehalten haben? Doch er dachte an sein Versprechen. Da glaubte er hinter den dicken Buchenstämmen ein höhnisches Gelächter zu vernehmen. Nun hielt’s ihn nicht mehr. Er hob den Sack von der Schulter, öffnete ihn und schaute hinein. Und was sah er? Nichts als Ziegenmist. Nun war‘s kein Zweifel mehr, er war angeführt. Fluchend nahm er den Sack und schüttete ihn aus und kam mit dem leeren in seinem Hirtenhaus an. Ärgerlich warf er ihn in die Ecke und legte sich auf die Streu.

Als er am Morgen erwachte, trat er zufällig an den leeren Sack Da rollten ein paar Goldstücke heraus. Neugierig hob er ihn auf, und als er schüttelte, kollerten noch einige nach. Da dämmerte es ihm, dass er einen dummen Streich gemacht habe. Von dem gleißenden Metall musste noch mehr darin gewesen sein. Rasch eilte er dahin, wo er ihn seines Inhaltes entleert hatte. Doch soviel er suchte, er fand nicht Gold, nicht Ziegenmist. Und als er sich von der Richtigkeit der gefundenen Stücke überzeugen wollte, waren auch sie verschwunden. Seine Neugierde war hart bestraft worden.

Malberg-Kapelle, links der "Helje Born" (Hel-Brunnen). Es ist eine Quelle, deren Wasser aus einem Teil der Felsformation strömt)

Der Malberg bei Montabaur und das Wildweiberhäuschen

In der Nähe von Montabaur erhebt sich der Malberg, eine heilige Höhe der Vorzeit, die alte Ding- und Gerichtsstätte des Engersgaues. An ihm befindet sich eine enge Felsspalte, das Wildweiberhäuschen, nach den wilden Weibchen so benannt, die hier früher wohnten und den guten Menschen hilfreich zur Seite standen.

Im Dreißigjährigen Kriege, als die Schweden das Hadamarer Land verwüsteten, flüchteten die Bewohner von Niederötzingen nach dem Malberg und versteckten sich dort in dem Wildweiberhäuschen, das damals viel geräumiger war als jetzt.

Sie wurden aber durch Verrat entdeckt und elendiglich umgebracht; die Oberötzinger dagegen, die sich in einem Steinbruch des Breitenberges verborgen hatten, entgingen der Todesgefahr.

(Fischer 1993, S. 56)

Dernbach

Vom Heilborn

Der untere Westerwald ist reich an Denkmälern aus alter Zeit. Mit vielen interessanten Einzelheiten umgeben Chronik und Sage das alte Mons Tabor und die einst so starke Bergfeste der Grafen von Isenburg-Grenzau sowie die Ruine Hartenfels.

Auch der Malberg mit seinem geschichtlichen Hintergrund, wo unsere heidnischen Vorfahren in sommernächtlicher Stille ihr Baldurfest feierten und „bei Mittagshelle und lichter Sonne" ihre Volks- und Gerichtsversammlungen abhielten, liefern namentlich unserer Jugend Stoff für ihre lebhafte Fantasie. Außer solch bedeutenden Andenken entbietet uns manch schlichtes und wenig bekanntes Plätzchen seinen bescheidenen Gruß aus altersgrauer Zeit, und wenn auch die Chronik es nicht der Mühe wert hält, davon zu berichten, so umgibt es doch der Volksmund mit lieblichen oder schauerlichen Bildern. Eine solche Stätte ist auch der Heilborn, der etwa eine Viertelstunde von dem Dorfe Dernbach entfernt auf einer kleinen Anhöhe in einem lieblichen Wiesengrund liegt.

Den Hauptanziehungspunkt für die Bewohner der benachbarten Dörfer bildet die kleine, trauliche Kapelle, die von altersher, wie auch Wirzenborn bei Montabaur, als Wallfahrtsort gilt. Einige Schritte von der Kapelle entfernt liegt der Heilborn, eine Quelle, von der die Kapelle samt ihrer Umgebung ihren Namen hat. Sie ist nach Art eines Ziehbrunnens mit einer Mauer umgeben und mit einem eisernen Deckel verschlossen, aber da sie nicht genügend gegen Infektion geschützt ist, ist ihr ziemlich klares und frisches Wasser zum Trinken nicht geeignet. Ob es wirklich Heilkraft besitzt? Es wird von vielen aus nah und fern von jeher schon und auch in unserer aufgeklärten Zeit mit frommer Zuversicht auf die Macht und Hilfe der lieben Gottesmutter gebraucht ohne lange, kritische Untersuchung, wem der Erfolg zuzuschreiben ist. Man wendet das Wasser hauptsächlich gegen Hautausschläge, Krankheit der Augen und andere Erkrankungen, auch bei Krankheiten der Haustiere, an. Früher stand auf der Westseite neben dem Kapellchen noch ein kleines Wohnhaus, das aber baufällig geworden und dem Abbruch anheimgefallen ist. Heute bezeichnet man noch im Dorfe Dernbach die Nachkommen der ehemaligen Bewohner des Häuschens mit den Beinamen „Heilborns“. Zwei mächtige Lindenbäume, die am Eingang des Kapellchens stehen, sind jetzt die stillen Wächter des kleinen Heiligtums. Für den Naturfreund sind sie ein merkwürdiges Schauspiel; sie stehen dicht und friedlich nahe beieinander, so daß sie zusammen eine prachtvolle, mächtige Krone bilden. Durch sie ist der ganze Platz im Sommer angenehm beschattet, und es herrscht in der Kapelle stets ein geheimnisvolles Halbdunkel. Um den Brunnen herum befindet sich eine Anpflanzung von jungen Tannen, und es sind neuerdings auch an Stelle der alten, morsch gewordenen Ruhebänke neue angebracht worden, so dass die frommen Beter nach verrichteter Andacht sich an dem trauten Plätzchen ausruhen können.

Über den Ursprung und das Alter der Kapelle scheinen keinerlei Urkunden vorhanden zu sein, es konnten wenigstens bis jetzt keine ermittelt werden; doch die Sage weiß, wie in so vielen Fällen, eine befriedigende Erklärung zu geben. Sie berichtet, daß ehemals Dornhecken den ganzen Platz bestanden hätten. In diesen habe man öfter ein Muttergottesbild gefunden, ein Ereignis, durch welches Maria geheimnisvoll die Stätte bezeichnet habe, wo sie verehrt zu werden und Gnaden auszuteilen wünsche. Darauf habe die Witwe Dietmar Hoffen von der Dernbacher Burg, die ungefähr zehn Minuten nordöstlich vom Heilborn entfernt außerhalb des Dorfes liegt, die Kapelle erbaut.

Meudt

Der Gangolfsbrunnen zu Meudt

Der Ritter Gangolf war aus Meudt nach Palästina gezogen und hatte zuvor seinen Mitbürgern versprochen, wenn er gesund zurückkehre, wolle er allen etwas aus dem gelobten Lande mitbringen. Als er nun glücklich dahin gekommen war, erinnerte er sich, dass der heißeste Wunsch der Einwohner von Meudt sei, einen Brunnen zu besitzen, denn bisher hatte man dort stets fruchtlos nach Wasser gesucht und musste dasselbe aus weiter Ferne holen. Als er daher am Grabe des Erlösers zu Jerusalem seine Andacht verrichtete, bat er flehentlich den Heiland, seinen Untertanen eine Quelle aufschließen zu wollen, und in der nächsten Nacht erschien ihm im Traum ein Engel Gottes und sagte ihm, der Herr habe sein Gebet erhört, er solle, wenn er nach Hause zurückgekehrt sei, neben der Kirche mit seinem Pilgerstabe in die Erde stechen, und flugs werde eine starke Ader kristallhelles, gesundes Wasser herausbrechen und nie versiegend fortquellen, bis eine gottlose Hand dasselbe verunreinigen werde, denn dann werde die Quelle sich wieder in die Erde zurückziehen. Als nun der Ritter nach Hause zurückgekehrt war, da hat er seinen Untertanen erzählt, was er ihnen mitgebracht habe und siehe, vor aller Augen hat er an dem bezeichneten Orte seinen Stecken in die Erde gestoßen, und jener wundervolle Quell ist herausgeschossen, den man heute noch den Gangolfsborn nennt. Dieser hatte nun manches Jahrhundert die Umgegend mit seinem Nass erquickt, da ist einmal am Pfingstmontag, Während die Gemeinde vor dem Hochaltar versammelt war, eine schändliche Jüdin zu dem Born gegangen und hat in dem Wasser desselben zum Hohn Windeln ausgewaschen, und siehe, plötzlich erscholl aus der Erde ein dumpfes Brausen, und vor den Augen der Missetäterin sank das Wasser in der Erde Schoß zurück, und der Brunnen war leer. Darüber entfuhr ihr ein grässlicher Wehschrei, und herbei stürzte alles Volk aus der Kirche und vernahm mit Entsetzen, was geschehen War. Schon wollten sie die Täterin in Stücke reißen, da rief die Stimme des Priesters sie in das Gotteshaus zurück, er nahm die Monstranz mit der geweihten Hostie und zog, gefolgt von Andächtigen, hin zu dem Brunnen, und nachdem alle nieder auf den Boden gefallen waren und in gläubigem Gebet den Herrn angefleht, nicht so viele um der Sünde der einzigen Frevlerin Willen strafen zu wollen, siehe, da hörte man aus der Erde tief herauf ein Rauschen immer näher und näher heraustönen, und plötzlich quoll der Quell wieder wie zuvor. Seitdem ist er aber niemals wieder versiegt, wohl aber ziehen noch heute am zweiten Pfingstfeiertag die Kinder zu Meudt nach dem Brunnen und bekränzen ihn mit Blumen und tanzen um ihn herum.

(Fischer 1993, S. 56-57).

Der Teufel als Schatzhüter

In Meudt auf dem Westerwald lebte einst ein reicher Bauer, der einem Bettler oft Nahrung und Nachtherberge gab. Einst kam der Bettler wieder auf das Gehöft, wurde aber diesmal barsch abgewiesen. Als es dunkel geworden war, schlich er sich durch das hintere Pförtchen in die Scheune und machte sich auf dem Heuboden ein weiches Lager zurecht. Um Mitternacht wurde er durch ein Geräusch geweckt, das von der Tenne heraufkam. Vorsichtig spähte er hinunter und sah, wie der Bauer mit Schaufel und Hacke ein Loch in den harten Boden grub und einen Haufen Geld in die Vertiefung schüttete. Er hörte, wie der Bauer mit lauter Stimme sprach: „Den Teufel mach ich zum Hüter meines Schatzes. Wer ihn haben will, muss dem Teufel zuvor einen Geißbock zum Opfer gebracht haben, der ein Jahr und einen Tag alt ist.“ Darauf schüttete er das Loch zu, stampfte die Erde fest und glättete die Stelle. Seitdem durfte der Bettler, der weder dem Bauern noch irgendeinem Menschen von dem Erlebten erzählt, wieder auf dem Hofe essen und schlafen. Er war auch zugegen, als der Bauer plötzlich starb. Alle Leute hatten den Verstorbenen für einen reichen Mann gehalten; nun aber war fast kein Geld im Hause, und man bedauerte schon sein armes Weib und die armen Kinder. Doch der ehrliche Bettler erzählte jetzt sein Geheimnis. Und als das Böckchen in der Mitternachtsstunde gebracht wurde, erschien der Teufel, riss das Tierchen mittendurch und schleuderte die eine Hälfte nach links, die andere nach rechts. Dann verschwand er, und der Schatz lag frei und offen da.

(Fischer 1993, S. 57).

Molsberg

Ein Sterbender steht vom Totenbett auf

Item was eyn man by Molsbergh, lach in dodes noeden und waz zom doede bereícht und geoleit und gelobde sich zu Heilgeroíde zu unser lieber frauwen und genaß von stond und haíd hey syne bedefart geleist selff sebende, as hey geloífft hatte, und danckte Marien ynnenclichen sere der genaden.

(Fischer 1993, S. 57).

Hundsangen

Geschicht eines ungerathenen Sohnes

Via Zeire wor emol e brova Mah, de hatt zwa Kenna en Boue en e Madche. Da Vora deh Alles, worre nua konn, sei Kenna i goura Zucht ze hahle. Da Sohn aua wollt sich nett schecke. Alles, wot de Leu verdroß, dot dere schlou de Leu de Fistaen, ora woa im Streit met sei Komerode. Sei Vora horren deswehe manchmol iwa de Laste gezoe. Wie das Sohn gruß woa, wollt e sich dot net mi gefalle loße en geng foat. Offn Owed kohme duach'n gruße, dicke Wald. Wie e su senn Weg foat git, seire off amol, därre sich ea gange hot. Un Ausweg woa net ze denke, weil e i dem Wald net bekannt woa. En schwaz Hex kimmt off‘n doa en säht zou'm, e soll doch merra gih i ia Haus im Wald, do iwa Nogd bleiwe; de annan Morje kenn e dahn foat gih, en sei woll em de Weg weise. Da ugerore Oman hat kah anna Wohl, e mußt met. Wie e bei dot Haus kohm, seire, det dot e Reuwahohl es. Zehe starke, schwoaze Menna met lange, lange Bäat setze bei iam N ogdäße. Oman wua recht wellem offgenomme en mußt sugoa mit äße. Die Reuwa leiße sich merren inne Gesprech en, afuan sei Schecksol en beschwatzten en endlich, bei en ze blei- we. Se sore e hätt e gout Äße en Trenke en braucht nua dann en wann emol off de Reuwarei zu zeie. Mei Oman, de woret endlich zefrere, konn sei Amt bahl su gout, wie ag sei Masta en hot manchem Rasende et Beulche gefeht.

Wäand dea Zeit woan zwar bes drei ]ua vangange, bes endlich sei Leu gewohre wuan, do en do wäre onna de Reuwa. Wie gern härren'n sei Leu wirra gehollt, auwa' et woa gefialich. Doch sei Schwesta, die en iwa alle Moße gern hat en seit- hea bahl nogs net schlofe konn, mog sich endlich off de Weg zou sem Broura, en kohm i de gefialiche Reuwawald, wur sei Braura eremstrabt. Off amol seit se en Mahn met a Flint off sich loskomme. Gleich akannt sie do drenn ian Broura Oman en rouf en merrem N ome. Wie aschrock do de, wie e de Stimm vu seina Schwesta huat. Via Schrecke feil em sei Flint aus de Henn, geng los, en die Kuhl fuhr'm du- ach de Kopp. Die orm Schwesta sprong bei en, aua e woa meusdud. Vu dea Zeiru häßt ma de Wald, besonnasch de Platz as Udenke en zua Woaneng fia alle bise Boue „Omansheck“.

(Fischer 1993, S. 58).

Gackenbach, Kirchähr

Ritter Gacho und die Kirche in Kirchähr

Nordwestlich von unserem allbekannten Diözesanjugendheim Kirchähr, da, wo heute die Westerwald-Touristik ihren vielbesuchten Hochwildschutzpark angelegt hat, erhob sich in alter Zeit die trutzige Burg des Ritters Gacho von der Sarnburg.

Gräbt man dort nur einen Spatenstich tief, dann stößt man heute noch auf die mehr als Jahrtausend alten Grundmauern.

Die Sage weiß mehr.

Gacho hatte unter Karl dem Großen im Heer gedient, hatte ganz Europa als Kriegsmann gesehen und war froh, als er zurück konnte auf sein väterliches Erbe, wo ihn Nelda, seine treue Frau und die vier Kinder Frowin und dessen Schwestern Nelda, Linda und Herma, bisher immer nur kurz und selten gesehen hatten. Ritter Gacho war nie vom Kriegshandwerk begeistert gewesen. Auszeichnungen besonderer Art waren ihm in den langen Kriegsjahren nie zugefallen. Aber seinen Landbesitz durfte er nun nach Kriegsende als Lohn vergrößern und wurde so der Herr über all das Gelände, was man heute „Buchfinkenländchen“ nennt. Mehr als das unruhige Ritterblut war zähes Westerwälder Bauernwesen seine Art. Deshalb zeigte er auch Verständnis für seine Leibeigenen, die sich für ihn und seine Familie plagten in den Rodungen der weiten Wälder, und er freute sich, dass eine Ansiedlung nahe der väterlichen Burg nach seinem Namen sich „Gachobach“ nannte. Erinnerungen der Kindheit wurden in dem Fünfzigjährigen wieder lebendig, wenn seine Frau Nelda von der Botschaft sprach, die seit dem heiligen Lubentius von der Lahn her in den Westerwald hinein Fuß gefasst hatte. Auch war es jeden Sonntag ein von der Herrschaft und ihrem Gesinde froh begrüßtes Ereignis, wenn der Klausner aus dem Tal der Gelbach auf dem heute noch gangbaren Pfad zur Burgkapelle kam und dort das heilige Opfer feierte. Gachos Kinder wuchsen heran. Frowin empfand schmerzlich die Enge der Bauernschaft und den armseligen Verdienst, der abfiel, wenn Kaufleute, die von Koblenz nach Frankfurt zogen, fettes Vieh oder Getreide auf der Burg kauften. Meist kamen sie zudem verärgert und müde an, weil der Weg im Wald ihren Zug im Schlamm aufgehalten hatte und alles Fluchen und Räsonieren die Wege nicht gangbar machen wollte. „Teufelsweg“ hatten sie selber die letzten fünf Kilometer genannt und der Name ist geblieben bis heute.

Die drei Töchter kamen ins heiratsfähige Alter. Doch die Freier - es kam ohnedies nur der niedere Adel in Frage - rümpften die Nase, wenn sie auf die Sarnburg kamen. Denn der einst so stolze Bau zerfiel mehr und mehr, weil dem Burgherrn Gacho die Mittel fehlten, seinen Besitz instand zu halten. Die drei Burgfräulein waren fleißig und brav, aber in ihrem Aussehen und Auftreten kaum von anderen Bauernmädchen zu unterscheiden. Weder die Eltern noch die vier Geschwister sahen einen Ausweg aus der Armut, und Frowin gab allmählich die Hoffnung auf, dass es ihm, wie seinem Vater einst, gelingen würde, eine Frau zu finden, mit deren Mitgift das Anwesen wieder anziehend gestaltet werden könnte. Man saß noch einträchtig zusammen, machte Pläne und verwarf sie wieder. Frowin kam oft tagelang von der Jagd in den dichten und weiten Wäldern nicht heim, und eines Tages erzählten durchreisende Kaufleute, sie hätten am Teufelsweg, nahe der Ansiedlung Kirnberg mit einem jungen Jäger Streit bekommen und diesem seine Frechheit tüchtig heimgezahlt. An diesem Abend kam Frowin nicht nach Hause. Als die Kaufleute am Morgen in Richtung Diez abgezogen waren, kam der Mutter Nelda der Gedanke, ob nicht Frowin der junge Mann gewesen sei, von dem die Kaufleute gesprochen hatten. Am Kirnberger Stock fand man dann den Sohn des Hauses, entsetzlich zugerichtet, im Blut einer Kopfwunde, ohne Bewusstsein. Man brachte Frowin auf die Burg, und er wurde nach Monaten auch wieder gesund; aber er war ein anderer Frowin. Kaum einmal hatte er früher nach Kaufleuten gefragt, jetzt nannte er sie Halsabschneider, Wucherer und Gauner. Die Eltern und Geschwister grämten sich, weil er zu oft auf Burgen ins Lahntal ritt, deren Herren in dem Verdacht standen, Raubritter zu sein. Als Frowin nun den Schwestern teure Kleider, Schmuck und andere Geschenke mitbrachte, erst bescheiden und klein, dann immer kostbarer und reicher, da kam es offen zutage: Frowin war ein Raubritter geworden. Familienglück herrschte seit langem nicht mehr auf der Sarnburg, dafür hatte die Armut gesorgt; aber Familienfriede war bisher doch noch dagewesen. Nun war auch der dahin, denn niemand konnte sagen, ob der Räuber nicht auch bereits ein Mörder war. Aber es kam noch schlimmer. In der Siedlung Wilgenhausen hatte ein ehemaliger Soldat die Pest eingeschleppt. Auch das benachbarte Kirnberg war von der fürchterlichen Seuche ergriffen worden. Nelda, die älteste Tochter derer von Sarnburg, bald dreißig Jahre alt, hatte ihre Heiratspläne aufgegeben und war mehr und mehr der armen Bevölkerung ein helfender Engel geworden in all dem Leid der Zeit. Wenn sie zu Ross ihre Runde machte durch Hübingen, Linsingen, Kirnberg, Horbach und Gachobach, eilten ihr die Kinder entgegen und Alt und Jung empfing sie mit lautem Jubel. Gegen die Pest schien sie gefeit zu sein. Man räucherte tüchtig die Gemächer der Burg aus, und trotzdem bangte man an jedem Abend, wenn Nelda zurückkam, ja man mied es, mit ihr zusammen zu sein. Nur die Mutter hatte Verständnis für das Tun der guten Nelda. An einem Morgen stand die Burgherrin nicht auf. Sie klagte über Kopfschmerzen und jucken, und am nächsten Tag stand fest, Knoten und Eiterbeutel erwiesen es klar": in der Burg war die Pest, und die Mutter Nelda war die erste, die nach einer Woche begraben wurde. Frowin kamm noch zum Begräbnis und war seit dem verschollen, ob gestorben an der Pest oder erschlagen im Kampf mit den Kaufleuten, es wird nie zu klären sein. Es dauerte kaum ein halbes Jahr, da war niemand mehr am Leben auf der Sarnburg, als nur noch der alte Burgherr, Ritter Gacho, bald ein Siebziger. Verzweifelt saß er ganze Tage und halbe Nächte bei dem frommen Klausner im Tal. Die Burg war fast unbewohnbar geworden, und Ratten ließen den armen Mann keine Ruhe finden, zumal er diese Pestüberträger mehr fürchtete, als feindliche Soldaten im Krieg. Nun starb auch noch der Klausner, und Gacho verließ seine Burg, zog in die Einsamkeit des Waldes im Tal, dorthin, wo heute das Jugendheim Kirchähr steht, am Gelbach, in die Klause des verstorbenen Priesters. Noch sechs Jahre lebte er hier. In seinem Testament bestimmte er seinen Landbesitz, das einzige, Was ihm geblieben war, zum Bau einer Kirche, an dem Ort, wo er seine letzten Lebensjahre verbracht hatte. Der Ritter Gacho hatte lange nachgedacht, welchen Patron das Kirchlein am Gelbach bekommen sollte. Er entschied sich für den Apostel Bartholomäus, der eigentlich Natanael geheißen hat, und dessen gebräuchlichster Name bedeutet: „Sohn des Mannes, der viele Ackerfurchen besitzt“. Er dachte an seine ausgedehnten Ländereien, die keinen Erben hatten und glaubte seinen letzten Besitz diesem Bauernapostel anvertrauen zu dürfen. Nach Gachos Tod sollte sein letzter Wille zwar durchgeführt werden, aber es schien doch töricht, die Kirche ins Tal zu bauen, wo dichter Wald und der ungezähmte Gelbach rauschten. Auf der Höhe sollte sie stehen und weit über das Tal schauen. Im Gelbbachtal fällte man Holz und schaffte es mit viel Mühe zum Berg. Doch anderen morgens fand man es wieder, fein säuberlich geschichtet, an der Seite, wo des Ritters Klause gestanden. Das erschien den Bauleuten wunderlich, und sie meinten, ein Schalksnarr haben ihnen einen Streich gespielt. Abermals brachte man das Holz auf die Höhe. Dorthin, wo heute die tausendjährige Gackenbacher Linde steht; aber wieder fanden sie es am nächsten Morgen im Tal. Auf dem Bauholz saß ein Vogel, und man glaubte deutlich sein Lied zu hören: „Kirch her, Kirch her!“ Da erkannten die Bauleute, die Kirche muss ins Tal, wie der Ritter es befohlen hatte. Sie bauten, und das Dorf, das sich allmählich anschloss, nannten sie Kirchher, woraus später Kirchähr wurde. So die Sage von Kirchähr. Die Geschichte weiß wenig aus der uralten Zeit, aber was tut es? Eines soll die frohe Jugend, die im Karlsheim zu Kirchähr einkehrt, wissen: Tatsache ist, dass sie dort auf uraltem christlichen Boden steht, der seine Geschichte hat, so oder so.

(Fischer 1993, S. 64-66)

Dies ist der Garten Eden

In engem Tale fließt vom Südabhang des Westerwaldes der Lahn zu der Gelbach, einst der Eynar oder Annar genannt, dessen Wasser die Lande des Erzstiftes Trier von der Grafschaft Diez, den Engersgau von dem Niederlahngau und der Esterau, dem späteren Gebiet der Grafschaft Holzappel trennte. Vielfach gewunden zieht er seine Bahn. Bewaldete Vorsprünge, scharf umrissene Felsnasen und kahle Klippen stellen sich ihm in den Weg. In grüner Talmulde liegt das Dörfchen Dies. Nicht 20 Häuschen zählt es, weder Kirche noch Schule besitzt es. Selbst die Toten müssen den weiten Weg nach Gackenbach hinaufgetragen werden zur letzten Ruhe. Und doch wohnt hier tiefer Frieden.

Das erkannten auch schon vor vielen 1000 Jahren die ersten Menschen. Wegen ihrer Sünde hatte Gott der Herr sie hinausgetrieben aus dem Garten Eden und vor dessen Tür den Engel gestellt. Nun wanderten sie, die das Paradies verloren hatten, durch die weite Welt. Über Heiden kamen sie und durch lachende Gefilde, durch schattige Wälder und öde Wüsten. Aber nirgends fanden sie den Ort, da sie sich ansiedeln konnten. So kamen sie auch ins Lahntal und wanderten den Gelbach aufwärts, kamen dahin, wo das stille Dörflein liegt im Talgrund. Wie malerisch lag es da im grünen Wiesengrund mit seinem bunten Blumenschmuck. Und auch ein mächtiger Birnbaum stand da, übervoll der köstlichsten Früchte. Wie ein Leuchten ging es da den Menschen übers Gesicht.

Entschlossen legte der Mann den Wanderstab beiseite: „Hier lass uns bleiben,“ sprach er. „Der Himmel selbst hat uns den Weg hierher gewiesen. Dies ist das Paradies!“ Seitdem hat das Dorf den Namen Dies behalten.

(Runkel 1929, S. 173).


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